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Zweibeiner sehen dich an

Zweibeiner sehen dich an

Titel: Zweibeiner sehen dich an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damon Knight
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das Innungszeichen des Bäckereigewerbes – ein stilisierter Brotlaib – zu sehen war. Drei braungebrannte Männer mit kleinen weißen Mützen kamen auf ihn zu und unterhielten sich in einer fremden Sprache. Eine Katze lief über den Platz, verfolgt von einem undefinierbaren Wesen mit vielen Beinen. Die Sonne brannte auf den Asphalt. Die Luft flimmerte vor Hitze.
    An der nächsten Ecke hatte sich eine Menschenmenge um einen grüngekleideten Mann versammelt, der eine dem jungen Mann unbekannte Kreatur mit rosafarbenen Federn an der Leine hielt. Münzen wurden in einen Becher geworfen. Angestachelt von seinem Besitzer, vollführte die Kreatur einen plumpen Tanz. Sie besaß ein teils menschlich, teils quallenähnliches Gesicht, das idiotisch und ausdruckslos wirkte. „Danke, mein Herr! Besten Dank, gnädige Frau!“ sagte der kleine Mann und tippte an den Rand seiner Mütze. Münzengeklingel. „Vielen Dank, mein Herr!“
    Der junge Mann ging weiter. Schließlich bekam man in einem Kino mehr geboten als hier. Am Ende des Platzes, an einem Zeitungsstand, blieb er stehen und kaufte ein Exemplar der Berliner Zeitung und die Hamburger Morgenpost, faltete die druckfrischen Blätter zusammen und klemmte sie unter den Arm.
    Am nächsten Stand wurde Obst verkauft. Er kam fast jeden Tag hier vorbei und kaufte Bananen und Orangen. Diesmal zog ihn jedoch etwas anderes an. In der Mitte des Standes sah er einen Berg mit grüngelben, eiförmigen Früchten, die größer als Birnen waren. Er las: SONDERANGEBOT! VON BRECHTS PLANET FRISCH EINGETROFFEN! PROBIERPREIS 1,10!
    Die Aufregung des jungen Mannes nahm überhand, sein Mund wurde trocken. Brechts Planet! Er kramte in seiner Tasche. Das Geld reichte gerade noch aus.
    Der Verkäufer nahm die Münzen gelangweilt und gab ihm eine der grünlichen Früchte. Der junge Mann wog sie prüfend in der Hand. Sie war schwer und fühlte sich warm und wächsern an. Er erinnerte sich an einen Satz aus seinem verlorengegangenen Buch: „… grünliche Früchte, die die Zweifüßler begierig essen …“
    Nie zuvor hatte er sich so eng seinem Geburtsplaneten verbunden gefühlt. Es war ihm immer ein wenig unwirklich erschienen, so, als würde er nur in Büchern existieren. Jetzt fühlte er zum ersten Mal, daß er real war, daß er aus echten Steinen und echter Erde bestand, daß auf ihm echte Bäume mit echten Früchten wuchsen.
    Als er in dem Gebäude, in dem er jetzt wohnte, Frau Beifelder erblickte, verbarg er instinktiv die schwere Frucht in seiner Tasche und hielt sie dort mit der Hand umklammert.
    „Guten Tag, Frau Beifelder“, grüßte er höflich, als er an ihr vorbei zum Lift ging. Die alte Frau erwiderte seinen Gruß nicht, sondern kniff die Augen noch enger zusammen. Der junge Mann hielt den Lift wie gewöhnlich auf jedem Stockwerk an und starrte neugierig auf die roten, geschlossenen Türen. Julias Tür war halbgeöffnet, aber anstatt anzuhalten, fuhr er weiter hinauf, zum vierten, fünften, sechsten Stock. Dort verließ er den Lift und kletterte über eine kleine Treppe auf das Dach.
    Unter ihm breitete sich Berlin im heißen Sonnenlicht aus. Die kurvenreichen Linien der Flugbahn hoben sich vom Blau des Himmels ab. Darüber, herausragend aus einer Menge niedrigerer Dächer, war die goldene Kuppel des Konzertgebäudes zu erkennen. Eine kühle Brise wehte ständig über das Dach und ließ die Zeitungen gegen seinen Arm flattern. Der junge Mann griff ärgerlich danach, ohne die warme Frucht mit der anderen Hand loszulassen. Einige Meter weiter drehte sich ein Ventilator in seinem schwarzen Gehäuse.
    Der junge Mann blickte interessiert auf ein Flugzeug, das sich auf den blaugrauen Horizont zubewegte. Er schnupperte. Die Luft roch nach Dieselöl, Ozon und heißem Beton. Auf der Brüstung lag ein großer Schmetterling, der schwach seine purpurnen Flügel bewegte. Der junge Mann sah ihm neugierig zu. Der Falter schien nicht mehr in der Lage zu sein zu fliegen. Als er die Finger des jungen Mannes an seinem Körper spürte, bewegte er sich mit krampfhaften Flügelschlägen vorwärts.
    Ein zweiter Schmetterling, ähnlich dem ersten, setzte auf. Er klappte die Flügel zusammen und begann dann die gleichen Bewegungen auszuführen. Der junge Mann registrierte, daß plötzlich die ganze Luft voll von Schmetterlingen war. Kleine schwarze Schatten senkten sich hinab und landeten auf den Dächern. Ein halbes Dutzend befand sich schon zu seinen Füßen, kurz danach hatte sich die Zahl verdoppelt.

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