Zweifel
weder Verärgerung noch Vorwürfe hinter seiner Frage steckten, sondern nur ehrliches Interesse.
»Ich hatte bisher noch keine Zeit«, murmelte Bo und entspannte sich ein wenig. »Ich habe sie um ein Treffen morgen Mittag gebeten.«
»Gut.« Sam zog sich etwas zurück und sah in Bos besorgt und leicht defensiv dreinblickende Augen. Er berührte Bos Wange. »Du tust das Richtige, das weißt du, oder? Selbst wenn das mit uns nicht klappen sollte, du musst das für dich selbst tun.«
»Was meinst du damit, ‚ wenn das mit uns nicht klappen sollte‘ ?«, wollte Bo gepresst wissen.
»Ich meine ja nur«, antwortete Sam und suchte nach den richtigen Worten, »dass du, selbst wenn wir nicht zusammen wären, nie glücklich sein könntest, solange du eine Lüge lebst. Und ich will, dass du glücklich bist.«
Er hatte damit nicht andeuten wollen, dass sie keine Zukunft hatten. Er hatte Bo nur so sanft wie möglich wissen lassen wollen, dass er erkannt hatte, dass diese Möglichkeit bestand.
Bo hatte es offensichtlich anders aufgefasst. Er stieß Sam von sich, schloss seine Hose und begann wie ein Tiger im Käfig auf und ab zu laufen.
»Du willst doch nicht im Ernst mit mir Schluss machen, jetzt, wo du mich rumgekriegt und mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hast!«
»Das hab' ich doch überhaupt nicht gesagt. Ich will mich nicht von dir trennen.« Sam richtete seine Kleidung und schloss den Reißverschluss seiner Jeans, verteilte dabei durch das Sperma an seinen Fingern klebrige Spuren auf dem Stoff. Er sollte sich waschen gehen, aber im Moment war Bo wichtiger.
»Aber du bist nicht bereit, dich zu outen, nicht einmal vor deinen Freunden. Ich müsste schon blind und dumm sein, um nicht zu erkennen, was das für uns bedeuten könnte.«
Bo verharrte, fuhr herum und starrte Sam wütend an. »Oh, ich verstehe. Es reicht dir nicht, dass ich mich von meiner Frau scheiden lasse und meine Familie auseinander reiße? Es ist nicht gut genug, dass ich so ziemlich jede Regel der Professionalität gebrochen habe, als ich mit dir Sex im Büro hatte. Wenn wir nicht händchenhaltend die verdammte Straße entlang hüpfen können, dann können wir auch nicht zusammen sein? Willst du das damit sagen?«
Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Bevor er sich zurückhalten konnte, platze aus seinem Inneren heraus, was sich im Lauf der letzten Monate angestaut hatte.
»Die meisten Leute in unserem Alter müssen sich nicht heimlich treffen wie zwei Teenager«, schoss er zurück. »Ich denke, ich habe was Besseres verdient, als das kleine, schmutzige Geheimnis von jemandem zu sein. Und du weißt so gut wie ich, dass es gar keinen Sex zwischen uns gegeben hat. Wir haben einander noch nicht einmal nackt gesehen. Ist das deine Vorstellung von einer Beziehung zwischen zwei erwachsenen Menschen? Meine ganz sicher nicht.«
Sobald die Worte seinen Mund verlassen hatten, wünschte sich Sam, sie zurücknehmen zu können. Die kurze Befriedigung, die es ihm gebracht hatte, Bo seine Gefühle ins Gesicht zu schleudern, würde nie den Schmerz, die Scham und die Verzweiflung aufwiegen, die er in diesem Augenblick in Bos Blick lesen konnte.
Er machte einen zögerlichen Schritt nach vorn und streckte die Hände nach Bo aus. Er wollte nichts mehr, als ihn zu trösten. »Bo... es tut mir leid. Ich hab'...«
Bo wich vor ihm zurück und schüttelte den Kopf. Er drehte sich wortlos um und stürmte den Gang hinunter. Sam sah zu, wie er in der Herrentoilette verschwand. Er wollte nichts mehr, als ihm zu folgen. Er wollte Bo in die Arme nehmen, ihn küssen und festhalten, bis er alles vergaß.
Aber er wusste, dass er seine Worte nicht ungeschehen machen konnte. Sie würden wie eine Mauer zwischen ihnen stehen, bis das Problem dahinter gelöst war. Entweder bis Bo sich entschied, das Risiko einzugehen und sich zu outen, oder bis Sam sich endgültig von ihm trennte. Sam ahnte, welcher Ausgang wahrscheinlicher war und es zerriss ihn innerlich.
Fünfzehn Minuten später kam Bo von der Toilette zurück. Sein Shirt und seine Jeans zierten Wasserflecke, sein Gesicht war zu einer ausdruckslosen Maske geworden und seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Er würdigte Sam keines Blickes, aber dieser bemerkte trotzdem Bos gerötete Augen. Er fragte sich, ob Bo ihm die Worte irgendwann würde vergeben können. Er war sich ziemlich sicher, dass er selbst es nicht konnte.
Er seufzte in sich hinein und schlurfte den Gang in Richtung der
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