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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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auffressen wirst. Ich hatte Angst vor dir und wollte dir zuvorkommen.«
    »Du hast mir gefehlt, Will«, sagte Kaye. »Ich bin so froh, dass du wieder da bist.«
    Sie sagte es mit solcher Zuversicht, dass er für einen Moment seine Angst und die Unsicherheit vergaß. Er legte den Arm um ihre Schultern, und sie ließen sich auf die Erde zurücksinken, bis sie schwerelos waren.
    Der volle Mond über ihnen strahlte in weißem Licht.
    Das Sternenvolk schien auf der Milchstraße zu tanzen.
    Als Will den Kopf wandte, drückte sich ein dunkler Schatten in ein ausgetrocknetes Bachbett und verflüchtigte sich zornig.

5. Kapitel

    I m Morgengrauen erwachte Kaye allein neben dem erloschenen Feuer. Sie zog die Decke fester um ihre Schultern, denn ihr war kalt, jetzt wo ihr die Wärme von Wills Körper fehlte. Die Sterne verblassten im Zwielicht und hinter dem rotgrauen Felsmassiv gegenüber dem Finger Rock ging die Sonne auf. Ihre Strahlen tauchten den hohen Felsturm und die Wiese in warmes Licht. Kaye setzte sich auf und suchte nach ihren Haarnadeln, doch Will musste sie mitgenommen haben. Sie stand auf und schüttelte den Schlaf aus ihren Gliedern, dann flocht sie ihre Haare zu einem Zopf. Als sie keinen Gummi fand, um das Ende zusammenzubinden, ließ sie es einfach offen.
    Die zusammengelegten Decken über dem Arm, tappte Kaye benommen über die taunasse Wiese in Richtung Holzhaus. Nachtkühle hing noch in den Felsnischen. Es duftete leicht nach Salbei und einem Hauch Kreosot. Unzählige Morning Stars hatten ihre großen weißen Blüten geöffnet. Sie würden sich wieder schließen, wenn die Sonne erst anfing zu wärmen.
    Warum ist er nicht bei mir geblieben?
    Kaye kletterte durch einen Hohlweg und auf der anderen Seite drehte sie sich noch einmal um. Von der Morgensonne beleuchtet, ragte Finger Rock wie eine Statue aus der Wiese. Aus diesem Blickwinkel konnte man ganz deutlich die sieben Finger erkennen, von denen der Fels seinen Namen hatte. Es war der schönste Platz auf Großvater Sams Land.
    Der schönste Ort weit und breit.
    Warum ist er nicht bei mir geblieben?
    »Guten Morgen, Großvater. Hast du Will gesehen?«, fragte sie den alten Roanhorse, der im Gehege bei seinen Schafen stand und mit ihnen redete. Er hatte ihnen Wasser gebracht und ein paar schrumplige Äpfel vom vergangenen Jahr. Jasper sprang um Kaye herum und begrüßte sie schwanzwedelnd.
    »Aoo’«, sagte Sam, der sich ächzend aufrichtete. »Ja, vorhin war er hier. Er brachte zwei Lämmer zurück, die aus dem Korral ausgebüchst waren. Hat gesagt, ein Kojote würde sich in der Gegend herumtreiben.«
    »Und wo ist Will jetzt?«
    »Ich glaube, er wollte in die Stadt.« Der alte Mann beobachtete Kaye, wie sie dastand, mit den Decken seines Enkelsohnes in den Händen.
    Kaye wurde bewusst, wie sie aussah: das Haar aufgelöst und die weiße Bluse verschmiert von Lehm und Holzkohle.
    »Was machst du denn um diese Zeit hier?«, fragte er.
    »Ich war heute Nacht mit Will am Felsen«, antwortete sie. »Aber irgendwann ist er gegangen, ohne dass ich es gemerkt habe.«
    Sam grummelte etwas auf Navajo. Dann fragte er, deutlich genug, dass sie es verstehen konnte: »Gibt es heute kein Mittagessen, Tochter?«
    Kaye legte die Decken über den Zaun und sagte: »Doch, Großvater, natürlich bekommst du dein Essen. Ich werde Schmorfleisch mit Reis kochen.« Sie blickte noch einmal um sich, als ob sie Will doch irgendwo zu sehen hoffte, dann ging sie zu ihrem Wagen und fuhr zurück zur Ranch.

    Arthur Kingley empfing Kaye bereits auf dem Hof, wie sie es befürchtet hatte. Er trug seine schwarze Sonntagshose und hatte ein gebügeltes weißes Hemd an, was ihn fremd und ungemütlich aussehen ließ. Ihr Vater wollte in die Kirche gehen. Das hatte er lange nicht mehr getan und es überraschte sie.
    »Versuch nicht, mir weiszumachen, du hättest bei Shelley geschlafen«, sagte er und wies vorwurfsvoll auf ihre schmutzige Bluse.
    »Ich werde bald achtzehn, Daddy, dann kann ich schlafen, wo ich will«, erwiderte Kaye trotzig.
    »Bald.« Arthur steigerte sich sichtlich in seinen Ärger hinein. »Aber jetzt noch nicht.« In einer enttäuschten Geste riss er die Hände nach oben. »Musstest du gleich in der ersten Nacht mit ihm ins Bett steigen?«
    »Ins Bett steigen?« Kaye schüttelte traurig den Kopf. »Ich habe nicht mit Will geschlafen, Dad, nur neben ihm. Und zwar vollständig bekleidet, falls dich das beruhigt. Abgesehen davon geht dich das überhaupt nichts an. Ich finde, du

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