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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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freier Mann.«
    Kaye holte geräuschvoll Luft, ein Zeichen ihrer Erleichterung. Wenigstens würde Will sich nicht an schwierige Regeln halten müssen, die ihm den Weg zurück ins normale Leben noch erschwert hätten.
    Thomas Totsoni legte den Kopf schief und betrachtete seine Nichte von der Seite. »Wie mir scheint, hat der Junge großes Glück«, sagte er, »weil da jemand ganz Besonderes auf ihn gewartet hat. Ich wusste nicht, dass Will Roanhorse dir so viel bedeutet. Als er ins Gefängnis kam, warst du noch ein Kind.«
    Kaye senkte den Kopf. »Ich hab ihn damals schon gern gehabt, Onkel. Da wusste ich nur noch nicht, dass es Liebe ist, wenn man so fühlt.«
    Thomas lächelte nicht, als er antwortete: »Ich wünsche dir, dass du nicht enttäuscht wirst, Kaye.«
    Seine Stimme war so voller Sorge, dass sich etwas in Kaye schmerzlich zusammenzog. Wusste ihr Onkel Dinge, über die er nicht mit ihr sprechen konnte?
    »Weißt du nichts Genaueres über Wills Entlassung?«, versuchte sie es noch einmal. »Für die plötzliche Umwandlung des Urteils muss es doch Gründe geben?«
    Thomas öffnete die Hände zu einer bedauernden Geste. »Nein, tut mir leid, aber mehr weiß ich wirklich nicht. Window Rock ist zwar die Zentrale der Navajo-Stammespolizei, aber trotzdem nur eine kleine Dienststelle und noch dazu in einem Indianerreservat. Die von oben denken immer, es ist besser, wir wissen so wenig wie möglich, dann kommt es auch nicht zu Komplikationen. Sie halten uns Navajos für einen abergläubischen Haufen.«
    »Kannst du es für mich rausfinden?«, fragte Kaye, die auf das Ablenkungsmanöver nicht einging.
    Ihrem Onkel war ganz offensichtlich nicht wohl bei dieser Sache. »Ich will es versuchen, versprechen kann ich nichts.«
    Kaye umarmte ihn heftig. »Danke, Onkelchen.«
    »Bist du nur deshalb hergekommen?«, fragte Thomas mit gerunzelter Stirn. »Weil du mich wegen Will ausquetschen wolltest?«
    »Nein, ich hatte Sehnsucht nach euch. Mom fehlt mir so, und bei euch habe ich immer das Gefühl, als wäre sie ganz nah.«
    Thomas legte einen Arm um seine Nichte. »Mir fehlt meine Schwester auch. Sie war ein fröhlicher Mensch. Du hast viel von deiner Mutter.«
    »Ich wünschte, ich wüsste, warum sie ihre Besuche im Gefängnis verschwiegen hat«, sagte Kaye nachdenklich. »Sie war damals die Einzige, die wusste, wie gern ich Will habe.«
    »Vielleicht ist das ja die Antwort auf deine Frage.«
    Kaye löste sich aus der Umarmung ihres Onkels. »Was willst du denn damit sagen?«
    »Na ja...« Er vergrub die großen Hände in den Vordertaschen seiner Jeans. »Ich weiß zwar nicht, was dein Freund Will für ein Mensch war, bevor er ins Gefängnis kam. Aber vielleicht ist er jetzt nicht mehr der, den du früher mochtest. Um hinter Gittern zu überleben, musst du hart werden und manchmal schlimme Dinge tun. Vielleicht hat Will da drin ein paar Sachen gelernt, die dir nicht gefallen werden.«
    »Aber was erwartest du von mir?«, fragte Kaye irritiert. »Soll ich ihn aufgeben? Ist es ein Fehler, um sein Glück zu kämpfen?«
    Thomas schüttelte den Kopf. »Du wirst bald achtzehn und es ist dein Leben, Kaye. Sei einfach vorsichtig. Und gib ein bisschen Obacht, mit wem Will sich in nächster Zeit einlässt.«
    »Ich soll ihn beschatten?«
    »Nein. Nur deinen Verstand benutzen.«
    Darauf wusste Kaye nichts zu sagen. »Ich muss jetzt los, es ist spät. Dad wird sich schon Sorgen machen.«
    Kaye verabschiedete sich von ihrer Tante Wilma und von ihrer Kusine Shannon. Thomas brachte sie noch zu ihrem Wagen.
    »Auf Wiedersehen, Onkel.«
    Er drückte sie noch einmal an sich. »Fahr vorsichtig«, sagte er. »Und grüß deinen Vater.«

    Kaye verließ den Ort und fuhr durch die Nacht. Manchmal reflektierten die Scheinwerfer ihres Jeeps die Augenpaare von kleinen Nachttieren. Ansonsten schien alles wie ausgestorben, als würde das Big Res in einem tiefen Schlaf liegen. Navajos waren des Nachts nur allein zu Fuß unterwegs, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Sie fürchteten, dass in der Dunkelheit Geistertiere herumliefen, denen zu begegnen krank machen konnte.
    Kaye fürchtete weder die Nacht noch Geistertiere. Doch ein paar Meilen hinter der Abzweigung auf den Highway 134 tauchte plötzlich eine Gestalt am Straßenrand auf. Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken. In der Dunkelheit am Highway zu laufen, war gefährlich. Manchmal waren die nächtlichen Wanderer betrunken, und ein einziges Wanken genügte, um von einem Auto erfasst zu

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