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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Pfirsichplantagen, die Mais- und Melonenfelder zerstörten und das Vieh abschlachteten. Einige Navajos waren damals so verzweifelt über die Vernichtung ihrer Existenzgrundlage, dass sie einfach über die Steilwände in die Tiefe sprangen.
    Heute wohnte niemand mehr dauerhaft im Canyon, weil es hier keinen Strom gab und keinen Fernsehempfang - Dinge, auf die keiner mehr freiwillig verzichten wollte. Aber einige Familien hatten ihre Felder auf dem fruchtbaren Boden angelegt. Mais, Melonen, sogar wieder Pfirsichbäume wuchsen hier. Es gab Pferde, eine Ziegenherde und ein paar Schafe. Wurde es Abend, hatte auch der letzte offene Touristenbus den Canyon verlassen, und im Tal waren nur noch die Tiere und ein paar Leute in ihren einfachen Behausungen, die man an einer Hand abzählen konnte.
    Als die Abendsonne die Felswände blutrot aufglühen ließ, erreichten die beiden Mädchen eine senkrecht aus dem Boden ragende Felsnadel, den Spider Rock. Der über 240 m hohe Fels warf einen langen Schatten auf den Canyonboden. Teena und Kaye stiegen von ihren Pferden. Dies war ein heiliger Ort. Denn oben auf der Spitze des Spider Rock lebte Spinnenfrau, die den Navajos einst die Kunst des Webens beigebracht hatte. Das war vor langer Zeit gewesen, als die Welt noch jung war und die Menschen aus der Macht heiliger Orte wie diesem ihre Kraft bezogen.
    »Ich habe schon lange nicht mehr am Webstuhl gesessen«, sagte Kaye, von schlechtem Gewissen geplagt.
    »Ich auch nicht.« Teena klang genauso reumütig.
    »Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Dinge für uns nicht so laufen, wie wir es uns wünschen.«
    »Glaubst du das?« Teena sah ihre Freundin fragend an. Kaye nickte. »Ja, irgendwie schon. Als Mom mir das Weben beibrachte, sagte sie, dass es etwas Heiliges sei. Ein Können, das Leben spendet. Sie sagte, dass von den Händen der Weberin Fäden gespannt sind zum Wesen von Schutz und Glück.« Kaye hob ratlos die Schultern. »Wir haben keine Zeit mehr, am Webstuhl zu sitzen, also gibt es auch keine Fäden zum Glück.«
    »Wir nehmen uns die Zeit nicht«, sagte Teena. »Das ist schlimm.«
    »Ja, weil uns etwas verloren geht, etwas, das man vielleicht nicht zurückholen kann.«
    Kaye legte den Kopf in den Nacken und blickte die Felsnadel hinauf. »Wir könnten Spinnenfrau versprechen, uns wieder an unsere Webstühle zu setzen.«
    »Ich glaube, sie hält nicht viel von großen Versprechungen«, erwiderte Teena leise. »Wir müssen ihr beweisen, dass wir es ernst meinen.«
    »Gut«, sagte Kaye. Sie blickten einander an und schworen sich wortlos, die Fäden des Glücks wieder in ihre Hände zu nehmen.
    Danach luden sie ihr Gepäck und die Decken vom Rücken der Pferde und ließen die Tiere grasen. Ihre Pferde würden nicht fortlaufen, sie kannten diesen Ort. Hier war das Gras grün und saftig, und es gab einen Bach, an dem sie trinken konnten.
    Die Mädchen schulterten ihre Rucksäcke und stiegen einen schmalen Pfad hinauf, vorbei an Felsmalereien des alten Volkes, die von längst vergangenen Ereignissen kündeten. Es gab Abbildungen von Menschen, von Tieren und mehrere Handabdrücke. Kaye blieb stehen, um die weißen, roten oder gelben Zeichnungen zu betrachten. Teena, die voranlief, drehte sich um und sagte: »Die Hände, das sind Zeichen des alten Kriegsgottes. Großvater sagt, es hat viele Kriege in diesem Canyon gegeben.«
    »Es ist schwer, sich das vorzustellen«, erwiderte Kaye. »Jetzt wo es so friedlich hier ist.«
    »Oh, wir Navajos waren berüchtigt für unser kriegerisches Wesen«, entgegnete Teena mit einem fröhlichen Augenzwinkern. »Man schimpfte uns Diebe und Plünderer. Die Hopis und die Apachen können uns bis heute nicht leiden.«
    »Was ja wohl auf Gegenseitigkeit beruht«, meinte Kaye.
    Sie liefen weiter und erreichten schließlich den alten Lagerplatz unter einem Felsüberhang, von dem aus sie einen guten Blick ins Tal hatten. Sie aßen trockenes Fladenbrot, dazu sonnenreife Tomaten und stillten ihren Durst. Dann hockten sie sich auf ihre Schlafsäcke und sahen zu, wie der rote Schein der untergegangenen Sonne immer mehr verblasste.
    Zuerst verschwanden die Farben, dann die Konturen der Felswände und der Bäume und Sträucher im Tal. Alles wurde unscharf, löste sich auf. Fledermäuse schwirrten dicht an ihren Gesichtern vorbei und von irgendwoher ertönte das Heulen eines Kojoten.
    Vor ihnen ragte Spider Rock aus dem Boden des Canyons. Fledermäuse flatterten in ihren ruckartigen Bewegungen um die

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