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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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kein Feind, sondern Aquilar, Maria Yazzies kleiner Bruder. Will hatte den Jungen bei seinem letzten Besuch im Haus der Yazzies kennengelernt und sie hatten sich sofort gut verstanden. Will hatte sich mit Aquilar eingehender unterhalten als mit Maria.
    Erleichtert ließ Will den Knüppel sinken. »Wo kommst du denn auf einmal her?« Es gefiel ihm zwar nicht, dass der Junge ihn beobachtet hatte, aber möglicherweise konnte Aquilar ihm helfen. Zumindest, was die Klapperschlange betraf.
    »Ich habe dich gesucht«, antwortete Aquilar. »Dein Großvater sagte mir, du könntest vielleicht hier sein.«
    Will stöhnte leise. Der Alte wusste immer alles. Ihm blieb nichts verborgen. Er hatte seinem Großvater nicht gesagt, wohin er gehen würde, doch Sam hatte es trotzdem gewusst. Vermutlich wusste er sogar von den Silberstücken und hatte bloß nichts gesagt.
    Mit einer Geste winkte Will den Jungen zu sich herunter. Aquilar Yazzie war sechzehn und trug das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden wie er selbst. Er war klein und mager, als würde er nie genug zu essen bekommen. Seine braunen Augen leuchteten wissend.
    »Was willst du von mir?«, fragte Will. »Warum hast du mich gesucht?«
    Aquilar zuckte mit den Achseln. »Ich dachte, du kannst vielleicht einen Freund brauchen.«
    Will schluckte. Das war nicht die Antwort, die er erwartet hatte. »Und was verleitet dich zu dieser Annahme?«
    »Die Sache mit dem Benzin auf dem Rücksitz des bilagáana -Autos hat sich ziemlich schnell herumgesprochen«, antwortete Aquilar. »Ein paar von den Jungs feiern dich als Helden. Aber mach sie dir besser nicht zu Freunden, du könntest sonst schnell in Schwierigkeiten geraten.«
    »Welche Jungs?«
    »Die von der Cobra-Gang. Sie standen in der Nähe der Tankstelle herum und haben alles gesehen. Ich wollte dich warnen. Halte dich von ihnen fern, sie bringen nichts als Ärger.«
    »Du scheinst ein paar Dinge zu wissen, von denen ich keine Ahnung habe«, bemerkte Will und musterte Aquilar interessiert. Die Besorgnis in den dunklen Augen des Jungen war echt.
    »Ich hatte einen Freund«, erzählte Aquilar. »Er hieß Louis, und wir kannten uns, seit wir Babys waren. Jetzt ist er tot. Er gehörte zu den Cobras. Eine Lieblingsbeschäftigung der Jungs ist, eine Mischung aus Wasser und Haarspray zu trinken. Ocean Water nennen sie es. Kostet bloß zwei Dollar und führt schon nach wenigen Schlucken zum Rausch. Louis hatte wohl einen Schluck zu viel genommen, er ist …« Aquilar stockte. »Er ist im Ozeanwasser ertrunken.«
    »Okay«, sagte Will bestürzt, »danke für deinen Rat. Aber ich habe nicht vor, mich denen anzuschließen.« Auch im Gefängnis hatte es Gangs gegeben, und er wusste, wie gefährlich und ausweglos es war, dazuzugehören. Allerdings schockierte es ihn, dass diese Dinge nun auch bis ins Reservat gedrungen waren.
    »Und was machst du hier?«, fragte Aquilar. »Versuchst du, Klapperschlangen zu zähmen? Hast du dein Klapperschlangen-Survival-Kit bei dir?«
    Klapperschlangen-Survival-Kit? »Mach dich nicht lustig«, sagte Will.
    »Na gut, mach ich nicht.« Aquilar grinste. »Kann ich dir vielleicht helfen?«
    »Schon möglich. In diesem Felsspalt ist etwas, das mir gehört.«
    Aquilar blickte auf die Schlange hinunter, die immer noch in Angriffsstellung verharrte. Er ging langsam ein paar Schritte näher heran und dann begann er, leise zu singen. Will konnte nicht alles verstehen, denn der Junge sang auf Navajo. Er verstand nur: liebe Schlange und: geh fort !
    Im Internat hatte Will mit einem anderen Navajo-Jungen in seiner Sprache reden können. Im Gefängnis war vieles in Vergessenheit geraten, was sein Leben im Reservat betraf. Auch die schwierige Sprache. Jetzt fehlten ihm manchmal wichtige Worte und Zusammenhänge. Nur langsam trat seine Muttersprache aus einem Loch tief in seinem Gedächtnis wieder hervor an die Oberfläche seines Bewusstseins.
    Die Schlange starrte Aquilar an und prüfte die Luft mit der Zunge. Langsam, mit trägen Bewegungen, schob sie sich fort. Will blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Schließlich verschwand die Klapperschlange in einem niedrigen, gelb blühenden Gebüsch. Aquilar wies auf den Spalt hinunter. »Die Luft ist rein.«
    »Und wenn noch eine drin ist?«, fragte Will skeptisch. Er versuchte, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen, was natürlich vollkommen aussichtslos war.
    Aquilar verzog spöttisch den Mund. »So wild, wie du mit dem Stock da drinnen herumgestochert hast, ist das kaum

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