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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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hinabsteigen, darüber waren sie sich einig. Das Vorhaben erwies sich jedoch als schwierig. Zwar kam ab und zu eine dünne Mondsichel hinter den Wolken hervor, aber unten im Water Hole Canyon war es stockfinster. Weil sie nicht entdeckt werden wollten, konnten sie die Taschenlampe nicht benutzen. Und den Mesapfad konnten sie auch nicht gehen, denn der führte genau da nach unten, wo auf der gegenüberliegenden Seite die Männer am Werk waren. Um nicht gesehen zu werden, mussten sie den Abhang an der dunklen Stelle hinabsteigen, an der sie sich gerade befanden.
    Aquilar machte den Anfang. Der Abstieg führte über einen Geröllhang, dessen Steine leicht unter den Füßen wegrutschen konnten. Immer dicht am Boden mit ihren Körpern, klammerten sie sich an Wurzeln und Salbeibüsche und bewegten sich langsam nach unten. Brach das Motorengeräusch ab, verharrten sie, reglos an die nassen Steine gepresst, und warteten, bis es wieder einsetzte. Vorsichtig tasteten sie mit ihren Füßen nach festem Halt, immer darauf bedacht, keine Gesteinsbrocken ins Rollen zu bringen. Denn das hätte sie augenblicklich verraten.
    Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, dann waren sie auf der Hälfte des Abhanges angekommen. Halb liegend machten sie eine Pause auf einem kleinen Felsabsatz. Das letzte Stück, das noch vor ihnen lag, war besonders steil.
    »Es ist ziemlich dunkel da unten«, flüsterte Aquilar. »Hast du eine Ahnung, wie weit es noch ist?«
    »Ein paar Meter, schätze ich. Vielleicht zehn, vielleicht auch weniger. Das Dunkle sind Büsche. Aber genau unter uns ist das Flussbett. Der Canyon ist an dieser Stelle nicht sehr breit. Nach dem Regenguss könnte noch Wasser fließen.«
    Aquilar murmelte etwas Unverständliches, dann schob er seine Beine über den Rand des Absatzes. Will tat es ihm nach.
    Plötzlich löste sich ein Stein aus dem nassen Boden. Aquilar verlor den Halt, und noch ehe Will nach ihm greifen konnte, rutschte er mit einem heiseren Aufschrei den steilen Abhang hinunter. Größere Steine kamen ins Rollen und polterten in die Tiefe. Dann war es still. Auch die Motorengeräusche hatten schlagartig aufgehört. Nur das schaurige Heulen eines einsamen Kojoten geisterte durch die Nacht.
    Will vergaß die Felszeichnungen und die Männer. Er konnte nur noch daran denken, dass sein Freund vielleicht verletzt und in großen Schwierigkeiten war.
    »Aquilar?«, rief er in die Dunkelheit. Will tastete nach seiner Taschenlampe, die er sich in den Hosenbund gesteckt hatte. Sein Herz pochte wild, als wäre es ein gejagtes Tier. Bitte antworte , flehte er im Stillen. »Aquilar?«, rief er noch einmal.
    Doch von unten kam nur ein leises Stöhnen.
    Mit der Taschenlampe leuchtete Will den Abhang aus und suchte nach einem Weg, über den er hinunterkommen konnte, ohne sich die Beine zu brechen. In diesem Moment tauchten unten zwischen den Sträuchern zwei grelle Scheinwerfer auf. In ihrem Lichtkegel sah Will seinen Freund liegen. Und ehe er begriff, dass Aquilar quer im Flussbett lag, dem einzigen Weg, auf dem ein Fahrzeug aus dem Water Hole Canyon herauskommen konnte, hörte er schon den markerschütternden Schrei seines Freundes. Er hallte gespenstisch an den Felswänden wider. Rasend vor Wut und wildem Schmerz, nahm Will denselben Weg, den Aquilar nur wenige Minuten zuvor ungewollt genommen hatte.
    Er rutschte und rollte, stieß gegen spitze Steine und aus dem Boden ragende Äste, rappelte sich wieder auf und sprang das letzte Stück, von dem er nicht wusste, wie tief es war.
    Will landete in einer sandigen Wasserlache, direkt neben Aquilar. Im selben Moment, in dem er begriff, dass er unverletzt unten angekommen war, leuchteten erneut Scheinwerfer auf, und ein zweites Fahrzeug kam direkt auf ihn und den leise stöhnenden Aquilar zu.
    Will wollte Aquilar aus dem Flussbett ziehen, aber er konnte es nicht. Ein dunkles Tier hockte lauernd im Unterholz. Will spürte die Gegenwart des Kojoten wie eine eiskalte Berührung, die ihn lähmte. Ein Augenpaar glühte durch das Dickicht. Furcht ließ seinen Körper steif werden. Unfähig, sich zu rühren, starrte er geblendet in die grellen Scheinwerfer des näher kommenden Fahrzeuges.
    Auf einmal regte sich Aquilar. »Will?«, ächzte er. »Hilf mir.«
    Will wollte, doch eine fremde Macht lähmte seine Glieder.
    »Will, verdammt...«
    Der Wagen war nur noch wenige Meter von ihnen entfernt. Doch plötzlich blieb er in einer lehmigen Vertiefung stecken, die sich mit Regenwasser gefüllt hatte.

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