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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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sik’ís , ein Freund. Das war mehr, als Will sich erhofft hatte.

    An den beiden vorangegangenen Abenden waren die jungen Männer nach der Arbeit an den Dächern der Schwitzhütte und des Hogans auf Aquilars Pferd zum gelben Haus zurückgeritten. Sie hatten geduscht, ihre Kleider gewechselt und Großvater Sam noch ein wenig bei den Schafen geholfen. Aquilar hatte im Wohnzimmer auf der Couch übernachtet und am nächsten Morgen waren sie nach dem Frühstück wieder auf die Mesa gestiegen.
    An diesem dritten Abend standen Will und Aquilar, von oben bis unten lehmverschmiert, vor dem fertigen Hogan und bewunderten ihr Werk. Ein schiefer Blechschornstein ragte aus dem Dach. An manchen Stellen war der Lehm noch feucht, doch in der immer noch heißen Abendsonne würde er schnell trocknen.
    »Der Hogan sieht toll aus«, sagte Will zufrieden. » Ahééh , ich danke dir für deine Hilfe.«
    »Noch ist er nicht fertig«, bemerkte Aquilar.
    »Nicht fertig?«
    »Er muss gesegnet werden.«
    »Kannst du das denn machen?«
    Aquilar lachte. »Na klar.«
    Er segnete den Hogan mit einem Gesang, den ihm sein Vater gelehrt hatte. Will sah zu, wie sein Freund den Lehmbau in Richtung der Sonne umschritt und heiliges Maismehl auf das neue Dach rieb. Er bewunderte ihn dafür, denn die Gesänge der Navajos waren kompliziert und sehr lang. Man konnte leicht etwas durcheinanderbringen. Vergaß oder veränderte man nur ein einziges Wort in einem der Gesänge, war alles umsonst, und man bekam als Sänger einen schlechten Ruf.
    Aquilar war noch jung, aber er hatte seine Lektionen gewissenhaft gelernt. Eines Tages würde aus ihm ein hataalíí werden, der nicht nur Hogans segnen konnte, sondern neben dem Sternengesang und dem Nachtgesang noch viele andere Gesänge beherrschte.
    Aquilars dunkle Stimme hallte über die Mesa. »Ins Haus des langen Lebens, dorthin wandere ich. Ins Haus des Glücks, dorthin wandere ich. Schönheit, vor mir, mit ihr wandere ich. Bis ins hohe Alter, mit ihr wandere ich. Ich bin auf dem Pfad der Schönheit.«
    Wills ernstes, beeindrucktes Gesicht reizte Aquilar schließlich zu einem Lächeln. »Es wird bald regnen«, sagte er. »Hoffentlich habe ich den richtigen Text gesungen, sonst bricht uns das Dach über dem Kopf zusammen.«
    Die Anspannung war vorüber. Sie lachten leise.
    Über den bewaldeten Chuska Mountains brauten sich Regenwolken zusammen und verdunkelten den Horizont. Vielleicht würden die Wolken vorüberziehen, vielleicht aber auch nicht.
    »Bleiben wir heute Nacht hier?«, fragte Will nach einer Weile des Schweigens. »Ich habe Brot und Tomaten mitgebracht und etwas kaltes Fleisch. Frisches Wasser haben wir auch. Und Decken für die Nacht.«
    Aquilar betrachtete Will nachdenklich. »Wir bleiben«, sagte er. »Es wird sowieso gleich dunkel. Bringen wir die Sachen rein und essen etwas. Ich habe einen Bärenhunger.«
    Während sie die gesäuberten Möbelstücke und die anderen Einrichtungsgegenstände wieder in den Hogan trugen, kam Wind auf, der den Duft von Regen mit sich brachte. Trockene Grasbüschel und Kreosotzweige wehten über das Plateau der Mesa. Der vom Wind aufgewirbelte Staub hing wie ein Schleier in der Luft. Bald darauf fielen die ersten Tropfen. Aquilar gab seinem Schecken einen Klaps und das Pferd machte sich auf den Weg in den Canyon. »Wir sehen uns morgen, mein Freund«, rief er ihm hinterher.
    Als es dunkel wurde und dichter Regen auf die staubtrockene Erde der Mesa prasselte, saßen Will und Aquilar drinnen bei Kerzenlicht am kleinen Tisch und aßen kalte Maisfladen mit sonnengereiften Tomaten.
    Aquilar lauschte durch die offene Tür nach draußen. »Es ist weiblicher Regen«, sagte er.
    »Weiblicher Regen?« Will runzelte fragend die Stirn.
    »Na, ohne Blitz und Donner.«
    Darüber musste Will lächeln. Eine seltsame Navajo-Weisheit und in seinen Augen kein guter Vergleich. Frauen hatten Blitz und Donner. Jedenfalls die eine, an die er immerzu denken musste. Die mehr von ihm verlangte, als er geben konnte. Die er so sehr liebte, dass es manchmal wehtat. Er seufzte in sich hinein.
    Das Regenvolk schickte dicke Wasserfäden vom Himmel, und es stellte sich heraus, dass sie gute Arbeit geleistet hatten: Das Dach hielt dicht und im Inneren des Hogans blieb es trocken.
    Will hielt Aquilar die offene Hand hin und der Junge schlug ein. Sie lächelten einander zu. Nachdem sie gegessen hatten, erzählte Will Aquilar von seinen Plänen für die Zukunft.
    »Und was ist mit dem Mädchen?«, fragte

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