Zweimal Hölle und zurück (German Edition)
Jessica von ihrer Krebserkrankung geheilt hast? Als meine Zwillingsschwester ermordet wurde, habe ich keine Angst verspürt. Ich habe nichts gefühlt . Und jetzt bist du das Einzige, was ich fürchte. Ich werde nun schweigen, damit du eine deiner sarkastischen Bemerkungen machen kannst.«
»Du fürchtest dich vor ’ner Menge Sachen. Vor Smoothies aus Tiefkühl-Erdbeeren statt aus frischen! Und davor, dass jemand deinen Jaguar mit Normal bleifrei statt mit Premium-Sprit betankt!« Es brach einfach aus mir heraus. Er kannte mich so gut.
»Ja, danke auch, dass du meine Angst auf diese Weise herabwürdigst. Es macht mir aber nichts aus, das solltest du wissen.«
Ich kriegte schon wieder dieses surreale »Bin-ich-betrunken-oder-bloß-völlig-baff«-Gefühl. » Was macht dir nichts aus?«
»Die Furcht vor dir. Also. Sie macht mir schon etwas aus, doch sie quält mich nicht. Und der Grund dafür ist …«
»Vielleicht sollten wir jetzt zu Marc und der Marc-Kreatur und den anderen zurückkehren?« Wie lange quatschten wir eigentlich schon in diesem abgeschiedenen Korridor? Die Zeit lief uns davon.
»… dass ich dich mehr liebe als fürchte.«
»Okay.« Das schien seiner Inbrunst nicht ganz zu entsprechen, deshalb fügte ich hinzu: »Danke. Ich glaube, du bist auch schwer in Ordnung.«
Sinclair rieb sich die Stirn. Es war seine übliche »Ich- bekomme-eine-Migräne-und-möchte-jemanden-erschießen«-Geste. »Angst vor einer geistig Minderbemittelten. Was für ein beschämender Tag für das Haus Sinclair!«
»Das Haus Sinclair ?«, kreischte ich. Wie hirnlos war das denn? Wie absolut total hirnlos? »Das Haus Sinclair? Das ist ja zum Schießen! Wie sieht denn unser Familienwappen aus: ein Kreuz mit dem internationalen Zeichen für ›Nicht aufgeschlitzt‹ drauf? Ein Mixer, der von goldenen Erdbeer-Ranken umwunden ist?«
»Ich danke dir wie stets für deine höfliche Anteilnahme und deine angemessenen Kommentare.« Er nahm mein Handgelenk, drehte mich herum, und zurück ging’s in die Küche.
11
Nickie-Dickie-Tavi (die mit Abstand beste Story Rudyard Kiplings) hielt die Pistole auf die Marc-Kreatur gerichtet, während Tina sie an den Kühlschrank fesselte. Ich umklammerte mein Goldkreuz, das ich an einer Kette um den Hals trug. Wenn das Marc-Wesen nur einen Mucks machte, würde ich es ihm in die Stirn rammen.
Ich musste gute dreißig Sekunden auf die Szene starren, um ihre Bedeutung zu erfassen. Hatte ich den Korridor für surreal gehalten? Sinclair hatte recht: Ich war wirklich minderbemittelt! (Und er war übrigens ein Mistkerl: Wer wirft der großen und einzigen Liebe seines Lebens solche Beleidigungen an den Kopf? Memo an mich: Reiß seine Hoden bis zu den Nasenlöchern hoch, dann dreh sie herum. Nimm danach gnädig seine Entschuldigung an! Und wiederhole die Züchtigung!)
Tina hatte den Kühlschrank von der Wand abgerückt und ausgestöpselt. Sie hatte mehrere Rollen Isolierband aus unserem Küchenwandschrank genommen … Sie kennen ja diese Kramschubladen, die man in der Küche hat. Wir taten es allerdings nicht unter einem Kramschrank . In diesem Schrank befanden sich außerdem anderes Klebeband, Karteikarten, Haftnotizen, Kugelschreiber und Bleistifte, Textmarker, Bindfäden – wer benutzt denn heutzutage noch Bindfäden? – und alle möglichen Umschläge. Und das alles auf einem Regalbrett.
Alte Vampire wie Tina und Sinclair liebten Isolierband. Sie benutzten es nicht nur zu vorgesehenen Zwecken wie Kleben, Reparieren usw., sondern stellten etwas daraus her. So ziemlich jeder Vampir, der vor der Erfindung des Isolierbandes geboren wurde, hält es für die coolste Sache der Welt. So wie Klettband. Oder iPods.
Jedenfalls fesselte Tina die Marc-Kreatur mit Isolierband an den Kühlschrank, und zwar mit Vampir-Lichtgeschwindigkeit. Also sah ich hauptsächlich eine verwischte Tina, die das Marc-Wesen mit Klebeband umwickelte wie die Spinne Charlotte, die ihr Netz um das Schwein Wilbur webt. Die Marc-Kreatur fand das saukomisch.
Es war alles so unwirklich, dass ich beinahe meine angeknacksten Rippen vergaß, denen es auch, um ehrlich zu sein, von Minute zu Minute besser ging. Ich hatte mich nicht mehr genährt seit … Äh, in welchem Jahrhundert lebten wir? Okay, das stimmte nicht ganz, ich hatte ein bisschen an Sinclair genuckelt, bevor das Tohuwabohu losgegangen war. Aber dies war nicht das erste Mal, dass mir auffiel, dass ich weniger Blut benötigte und meine Verwundungen schneller genasen als bei
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