Zweimal Hölle und zurück (German Edition)
»Damit werden wir uns auch noch herumschlagen müssen, schätze ich. Doch ich werde keine Sekunde darauf vergeuden, bevor ich mich nicht davon überzeugt habe, dass es Mom gut geht.«
»Ich bezweifle, dass der Antichrist es auf Dr. Taylor abgesehen hat«, warf Tina ein.
»Ich stimme dir zu, aber trotzdem, Leute. Sie ist schließlich meine Mom!«
»Ruft sie doch an!«, schlug Tina vor.
Ich machte also in der Küche halt, begab mich ans Telefon – ein Apparat mit Wählscheibe! (In welchem Jahrhundert lebten wir eigentlich?) – und wählte Moms Nummer. Es läutete viermal, dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein.
» Dr. Taylor. Es interessiert mich nicht, warum Sie Ihr Referat zu spät einreichen, ich lasse Sie durchfallen. Sollten Sie nicht einer meiner Studenten sein … Ich kann Ihren Anruf momentan nicht beantworten .« Klick . Knapp, aber witzig. Ah, das war Mom, wie sie leibte und lebte.
»Es ist kurz vor Morgengrauen«, stellte Marc fest. »Sie schläft wahrscheinlich.«
»Nicht Mom.« Sie litt unter chronischer Schlaflosigkeit und brauchte nur vier oder fünf Stunden Schlaf. Versuchen Sie mal, unter solchen Bedingungen aufzuwachsen! »Es ist fünf Uhr morgens, Honey! Zeit aufzustehen und den Rasen zu mähen. Die Sonne wird jeden Moment aufgehen.« Die Hölle. Meine Teenagerjahre waren die Hölle gewesen!
»Tja, okay. Dann versuchst du’s eben auf dem Handy«, schlug Marc vor.
»Sie hasst die Dinger.« Ich schlüpfte bereits in meinen Wintermantel, ein riesiges daunengefüttertes Ding, in dem ich aussah wie ein mitternachtsblauer Michelin-Mann. Mochte ja sein, dass der Herbst zu warm war (für die Jahreszeit), mir war jedenfalls immer kalt. »Sie lehnt es strikt ab, sich eines zu besorgen.«
»Dann eben eine SMS … Ach, stimmt, das geht ja auch nicht. Dann schick ihr eine Mail!«
»Am Wochenende bleibt ihr Computer aus.«
»Bei allem gebotenen Respekt«, sagte mein Ehemann, und ich gürtete im Geiste meine Lenden, »deine Mutter ist eine Technikfeindin.«
»Pass auf, was du sagst, Kumpel! Du redest über deine Schwiegermutter.«
»Wem sagst du das?«, seufzte er. »Ich würde dich ja lieber nicht aus den Augen lassen, aber …« Er warf einen verzweifelten Blick in die Runde. Ich wusste, was er dachte. Er hatte Angst, unsere Freunde allein zu lassen, und er hatte Angst, mich allein gehen zu lassen.
»In einer Stunde bin ich wieder da«, versprach ich. »Ich schaue auf einen Sprung bei Mom rein und komme sofort zurück.«
»Sofort.«
»Yep.«
»Sei vorsichtig!«, sagte N/Dick. Wieder legte er beschützend einen Arm um Jessicas Schultern.
»Das weißt du doch«, erwiderte ich und verließ das Haus.
32
Also machte ich mich auf den Weg, zuerst auf der I-94 nach Osten, dann auf der Route 61 in südlicher Richtung nach Hastings. Als ich an den erschreckend vielen Einkaufsmeilen von Woodbury und Cottage Grove vorbeifuhr, sagte ich mir, dass Lügen an sich schon schlecht sind. Aber besonders schlimm ist es, wenn man sich selbst belügt. Ich gab mich daher keinen Illusionen hin: Ich war froh, eine Rechtfertigung zu haben, die Villa verlassen zu können.
Nicht, dass ich etwas gegen meinen Ehemann oder meine Freunde gehabt hätte. Doch innerhalb weniger Stunden war zu viel geschehen … wobei ich meine widerlichen Zeitreisen-Abenteuer nicht einmal mitzählte. Eine alltägliche Unternehmung, wie zum Beispiel auf einen Sprung bei Mom vorbeizuschauen, war im Gegensatz dazu entspannend, auch wenn ich nur hinfuhr, um mich davon zu überzeugen, dass der Antichrist sie oder meinen Bruder nicht entführt oder mit dem Höllenfeuerschwert gevierteilt hatte oder ihnen Passagen aus der Bibel vorgelesen hatte oder sie gedrängt hatte, Thanksgiving in einer Suppenküche zu verbringen.
Uhh, Thanksgiving. Fast hätte ich es vergessen. Gott, wie ich diesen Feiertag hasste! Und um das einmal festzuhalten: Ich hasste diesen Tag schon lange, bevor es trendy war, die Feier des Völkermordes an den amerikanischen Ureinwohnern zu verachten. Wirklich, ein dummer Schachzug, die Pilgerväter vor dem Verhungern zu bewahren, anstatt sie mit Pfeilen vollzupumpen.
Mir ist es immer so vorgekommen (nennen Sie mich ruhig paranoid), als wäre Thanksgiving geradezu dafür geschaffen, mich zu erzürnen. Ein traditioneller Familienfeiertag? Welche traditionelle Familie? Welche Familie überhaupt? Selbst wenn Dad mich wirklich gern zu Thanksgiving hatte sehen wollen – Ant hatte es ihm jedes Mal ausgeredet. Mom lehnte es
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