Zweite Chance fuer die Liebe
„Damit will ich nicht andeuten, dass Frank sich nichts aus dir gemacht hätte. Ich bin sicher, er hat dich gerngehabt.“
„Nein, nicht wirklich.“
„Lily, es ist nie einfach, das Kind eines anderen aufzuziehen. Ich meine …“
„Es gab sonst niemanden, der mich haben wollte.“ Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern, als würden sie übers Wetter reden. „Wäre er nicht gewesen, wäre ich ins Heim gekommen.“ Plötzlich sah sie unendlich verloren aus. „Ich war es, die sie gefunden hat.“ Sie hielt die Hände näher ans Feuer, als würde sie plötzlich frieren. „Die Polizei hielt es geheim, aus Rücksicht auf meine ‚labile psychische Verfassung‘. Ich habe meine Eltern tot aufgefunden. Es war Sonntagmorgen. Sie hatten mir einen richtigen Familientag versprochen, mit Pfannkuchen zum Frühstück und einem Picknick im Park. Als ich aufstand, lag meine Mutter in ihrem Erbrochenen auf dem Sofa, mein Vater vor ihr auf dem Boden. Zuerst habe ich versucht, sie aufzuwecken.“ Mit leerem Blick starrte sie vor sich hin. „Die absolute Reglosigkeit eines toten Körpers ist etwas, das sogar ein kleines Kind begreift. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Wusste, dass ich sie nie wiedersehen würde.“ Sie schüttelte sich leicht, dann drehte sie ihm das Gesicht zu. „Du meine Güte, daran habe ich seit Jahren nicht mehr gedacht.“
Sie wandte sich wieder dem Feuer zu und nippte an ihrem Sherry. Deutlich sah Tristan, wie aufgewühlt und verlegen sie war. Auch er selbst fühlte sich elend. Wie hätte er wissen sollen, dass sie als kleines Mädchen ein solches Trauma erlebt hatte?
Als hätte sie den überwältigenden Drang in ihm, sie zu trösten, gespürt, warf sie ihm einen warnenden Blick zu. „Mir geht’s gut“, behauptete sie. „Ich bin längst darüber hinweg.“
Jeder hätte gemerkt, dass das gelogen war. „Nein, bist du nicht. Ich glaube sogar, dass du dich hinter dem Skandal-Image deiner Eltern versteckst. Und du selbst hast es mitgeschaffen und der Presse verkauft. Du nutzt es wie einen Schild, damit niemand dein wahres Ich sieht.“
Er sah, wie sie sich versteifte, und dann erinnerte er sich, wann er diese hochmütige Miene schon einmal bei ihr gesehen hatte – nachdem sie Sex gehabt hatten.
Lily starrte Tristan an und wünschte, der Boden würde sich auftun und sie verschlingen. Zumindest einen von ihnen. Die Stimmung war so schön gewesen – und er musste es ruinieren!
„Du hast ja keine Ahnung, wovon du da redest“, flüsterte sie erstickt. Ihr wurde klar, dass sie kurz davorstand zu weinen. Sie weinte nie, und vor Tristan würde sie nicht damit anfangen.
„Lily …“
Sie rappelte sich auf die Füße, hob abwehrend die Hände, als Tristan ebenfalls aufstand. „Ich …“ Die Worte kamen ihr nicht über die Lippen. Sie schwang herum, nur von dem Gedanken an Flucht beherrscht, doch Tristan hielt sie auf.
„So lasse ich dich nicht gehen.“ Er drehte sie zu sich herum, und prompt brach sie in Tränen aus. Zwar wollte sie ihn von sich schieben, aber er rührte sich keinen Zentimeter. „Lily, es tut mir leid. Ich bin ein unsensibler Idiot. Du hast recht, ich weiß nichts von dir.“
Anstatt zu helfen, machte seine Entschuldigung alles nur noch schlimmer. Schluchzend schlug sie die Hände vors Gesicht. Tristan zog sie an sich und ließ sie weinen, strich ihr tröstend über den Rücken und murmelte beruhigend auf sie ein.
In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Tristan irrte sich. Sie versteckte sich hinter keinem Image. Es war einfach nur leichter, die Leute denken zu lassen, was sie wollten. Das taten sie so oder so, und ihr war es wirklich gleich, was andere über sie dachten.
Nur … wenn das stimmte, warum hatte sie dann ihrer Heimat den Rücken gekehrt und war nach Amerika gegangen, wo man sie nicht nach ihrer Vergangenheit beurteilte? Warum hatte sie dann immer versucht, genau das zu tun, was Frank sagte? Und wieso hatte Tristans Zurückweisung vor sechs Jahren so wehgetan?
Ein Bild ihrer weinenden und völlig verzweifelten Mutter schoss ihr in den Kopf, und Lily presste fest die Lippen zusammen. Doch dann folgten andere Erinnerungen: Wie ihre Mutter sie nach dem Bad in ein großes Handtuch wickelte und mit ihr schmuste. Wie sie bei ihrem Vater auf den Schultern saß und sie gemeinsam über den Wochenmarkt schlenderten und Falafel aßen. Wie sie beim Fotoshooting ihrer Mutter vor dem Spiegel geschminkt wurde. Wie sie sich auf dem Sofa an ihren Vater
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