Zwergenfluch: Roman
aber die fremdartigen Gewalten, denen sie hier hilflos ausgeliefert waren, schienen sie fast zu Tode zu ängstigen.
Dennoch spendete ihre bloße Gegenwart Warlon Trost, half ihm, seine eigene Furcht leichter zu bezwingen. Er überlegte, ob er den Arm um sie legen sollte, aber eine so vertrauliche Geste einer Priesterin gegenüber schien ihm fehl am Platz zu sein.
Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis die Blitze am Firmament nur noch weiter entfernt aufleuchteten und das Grollen des Donners abnahm.
»Endlich«, murmelte Ailin und rückte wieder ein wenig von ihm ab, als wäre ihre Angst ihr plötzlich peinlich geworden. »Ich begreife nicht, wie die Menschen und die anderen Bewohner der Oberfläche so etwas häufiger aushalten.«
»Das war ein besonders heftiges Gewitter, wie ich es auch noch nie erlebt habe«, behauptete Lokin. Selbst in seiner Stimme klang noch immer leichte Furcht mit.
»Ich hoffe nur, wir müssen so etwas nicht noch einmal erleben«, erklärte einer der Krieger, und ein anderer murrte: »Diese Oberflächenwelt ist schrecklich. Die unerträgliche Hitze, dieses Gewitter, der Regen … Und dabei sind wir
erst einen Tag unterwegs! Ich möchte gar nicht wissen, was uns noch alles erwartet.«
»Was immer es sein mag, wir werden uns ihm tapfer stellen«, sagte Warlon mit so viel Entschlossenheit in der Stimme, wie er aufzubringen vermochte. Er konnte gut nachfühlen, was in den Männern vorging, da er selbst ganz ähnlich empfand und dachte. Als Anführer des Trupps musste er jedoch die Disziplin aufrechterhalten und durfte nicht zulassen, dass sie sich in etwas hineinsteigerten, was den ganzen Erfolg der Expedition gefährdete. »Ich möchte wetten, dass viele unserer Kameraden in Elan-Dhor, die vielleicht gerade jetzt ihr Leben im Kampf gegen die Dunkelelben riskieren, stattdessen gerne ein bisschen Hitze und Regen in Kauf nehmen würden.«
Betretenes Schweigen folgte seinen Worten.
Nur weit entfernt flackerten vereinzelt noch Blitze am Himmel, und auch der Donner war zu einem gelegentlichen fernen Grollen abgeklungen. Wenige Minuten später ließ auch der Regen endlich nach und hörte kurz darauf ganz auf. Der Boden jedoch hatte sich in Morast verwandelt, und es würde noch viele Stunden dauern, bis er trocknete.
Nicht anders verhielt es sich mit ihrer Kleidung. Vor allem die wollenen Mäntel hatten sich mit Wasser regelrecht vollgesogen. Zwar wrangen sie sie aus, aber es blieb trotzdem noch genügend Feuchtigkeit darin zurück. Unter diesen Umständen hatte es keinen Sinn, wenn sie sich wieder hinlegten und weiterzuschlafen versuchten. Der Regen hatte die Luft so weit abgekühlt, dass es kälter als bei ihrem Aufbruch am Morgen war und sie in ihren nassen Sachen erbärmlich froren. Wenn sie sich jetzt auch noch zurück ins feuchte Gras legten, würde ohne Zweifel jeder von ihnen am nächsten Tag krank sein.
»Versuchen wir, ein Feuer zu entzünden, um uns zu wärmen«, ordnete Warlon an.
Die Wolkendecke über ihnen riss auf, und in unregelmäßigen Abständen brach der Mond durch. In seinem Licht schwärmten sie aus, um Brennmaterial zu suchen, doch alles Geäst, das sie fanden, selbst wenn es sich um längst totes Holz handelte, war so durchnässt, dass es ihnen trotz aller noch so großen Bemühungen nicht gelang, es zum Brennen zu bringen, sodass sie ihre Versuche schließlich erfolglos abbrachen.
»Wir gehen weiter«, entschied Warlon, enttäuscht von ihrem Misserfolg. Ein Feuer hätte sie nicht nur gewärmt, sondern auch geholfen, ihre Kleidung schneller zu trocknen. »Das ist besser, als frierend hier herumzusitzen.«
Zähneklappernd und noch immer triefend nass machten sie sich wieder auf den Weg. Durchgefroren wie er war, erschien Warlon sogar die Hitze des vergangenen Tages als das kleinere Übel, und er sehnte sich den Sonnenaufgang herbei, doch bis dahin würde es noch Stunden dauern. Um sich wenigstens etwas zu wärmen, schlugen sie ein scharfes Tempo an.
Immerhin brauchten sie nicht im Dunkeln zu gehen. Die Wolken über ihnen lichteten sich immer mehr und verschwanden schließlich ganz. Ungehindert strahlte das Mondlicht herab, und der schwarze Himmel war mit den unzähligen Lichtpunkten leuchtender Sterne gesprenkelt. Auf tröstliche Weise erinnerte der Anblick Warlon an den steinernen, kuppelförmigen Himmel über den Wohnhöhlen Elan-Dhors mit seinen Lichtschächten. Nur waren die echten Sterne sehr viel winziger und vor allem sehr viel zahlreicher. Vielleicht waren ja
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