Zwergenfluch: Roman
Selbstmord.
Hinter ihm ertönte das wütende Brüllen des Trolls. Als er über die Schulter einen Blick zurückwarf, sah er zu seinem Schrecken, dass sich der Troll nicht etwa einem anderen Gegner zuwandte, sondern die Verfolgung aufnahm. Und er war schneller, das zeichnete sich schon jetzt ab. Der Wald war hier ziemlich licht; die großen Laubbäume standen weit genug auseinander, dass man, so weit es das schwindende Licht zuließ, zwischen ihnen hindurchblicken konnte, und das Unterholz bestand hauptsächlich aus Farnwedeln, die Lokin gerade einmal bis zur Brust reichten und ihm auch keinen Sichtschutz boten.
Es sei denn …
Lokin entschloss sich zu einem Verzweiflungsakt. Er konnte nur hoffen, dass sein Vorsprung groß genug dafür war, sonst war er endgültig verloren.
Hastig ließ er sich auf die Knie sinken und kroch auf allen vieren weiter, wobei er in scharfem Winkel von seiner bisherigen Richtung abwich. Während der ersten Meter bemühte er sich, keine Farnstängel zu knicken, die dem Troll seinen Weg verraten könnten. Dadurch kam er nur quälend langsam voran, und er konnte den schuppigen Giganten deutlich hinter sich hören.
Lokin wechselte erneut die Richtung und kroch nun schneller. Dabei blieb er auch weiterhin so vorsichtig wie möglich und bewegte sich längst nicht so schnell, wie er es gekonnt hätte. Andernfalls hätte nicht nur die Gefahr bestanden, dass er eine deutliche Spur hinterließ, sondern die Farnwedel hätten sich auch so stark bewegt, dass er dem Troll seine Position überdeutlich verraten hätte.
Die Geräusche hinter ihm wurden leiser. Statt wütend vorwärtszustürmen, bewegte sich auch der Troll nun langsamer, da er ihn nicht mehr sehen konnte. Lokin schöpfte
wieder Hoffnung. Für den Troll war er nicht mehr als irgendeines von mehreren Opfern, und deshalb setzte er darauf, dass der Gigant möglichst bald das Interesse an ihm verlieren und die Verfolgung aufgeben würde. Er wusste, dass die Trolle zwar Furcht einflößende Kämpfer waren, aber alles andere als intelligent. Auch ihr Gedächtnis sollte angeblich ziemlich zu wünschen übrig lassen. Er konnte nur hoffen, dass das stimmte und sein Verfolger sich schon bald nicht mehr erinnern würde, was er überhaupt hier wollte.
Noch aber war es nicht so weit, noch durchstreifte der Troll mehr oder weniger blindlings das Unterholz auf der Suche nach ihm.
Lokin gelangte an einen Graben, eine V-förmige Vertiefung von kaum zwei Metern Tiefe und ungefähr der doppelten Breite, die das Gelände durchschnitt; vielleicht das Bett eines ausgetrockneten Baches. Jetzt konnte es für ihn die Rettung bedeuten. Ohne zu zögern sprang er in den Graben hinunter. Nur ein paar Schritte entfernt stand unmittelbar am Rand des Hangs eine große Buche. Sie war vom Regen teilweise unterspült worden, sodass rund die Hälfte ihrer mächtigen Wurzeln freilag und eine Art Höhle bildete, in die sich Lokin zwängte. Hier war er höchstens noch zu entdecken, wenn der Troll ebenfalls in den Graben stieg und sich bückte, um unter die Wurzeln zu sehen.
Langsam beruhigte sich Lokins Atem. Auch sein Herz schlug nun nicht mehr wie ein auf höchster Geschwindigkeit laufendes Hammerwerk, jedoch immer noch deutlich schneller als normal. Während der vergangenen Minuten war er viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, so schnell er nur konnte zu rennen und sein Leben zu retten. Jetzt aber, da er reglos hier saß und auf die Geräusche lauschte, die
der Troll verursachte, kam ihm seine Situation erst richtig zu Bewusstsein.
Er war allein und nur auf sich gestellt, verfolgt von einem Wesen, das stark wie zehn Krieger war, und möglicherweise noch von ganz anderen Gefahren wie Raubtieren oder dergleichen umgeben, von denen er nicht einmal etwas wusste. Hinzu kam, dass er nicht mitbekommen hatte, was mit seinen Gefährten geschehen war. Im Kampf hatten sie so gut wie keine Chance - falls sie nicht ebenfalls geflohen waren, war vermutlich keiner von ihnen mehr am Leben.
Selbst wenn der Troll seine Verfolgung aufgab, sah die Situation alles andere als rosig für ihn aus, stellte Lokin fest. Die Erkenntnis war so niederschmetternd, dass er mit aller Kraft dagegen ankämpfen musste, sich nicht von Mutlosigkeit übermannen zu lassen. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, doch tapfer unterdrückte er sie.
Zu allem Überfluss schien er es auch noch mit einem Troll zu tun zu haben, der im Gegensatz zu den meisten seiner Artgenossen entweder über ein
Weitere Kostenlose Bücher