Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
leises Motorengeräusch, das von Minute zu Minute zunahm, je geringer die Entfernung zwischen ihnen und der Geräuschquelle wurde. Zu dem Wummern der Motoren gesellte sich der Klang einer Hupe. Auch die Lautstärke des Hupens steigerte sich von Meter zu Meter. Lichtblitze zuckten über das Band. Die ersten Kumpel, weit vor Kaya, richteten sich auf und gingen in die Hocke. Einige Sekunden später schlugen Cengiz Stofflappen ins Gesicht, die über dem Band in geringer Höhe befestigt waren. Lappen, Hupe und Lichtblitze sollten erreichen, daß Kumpel, die auf dem Band nach einer anstrengenden Schicht eingeschlafen waten, nicht über die Abstiegsstelle hinaus mit dem Band fuhren und dann in einen Gesteinsbrecher, einen Kohlenbunker oder ähnliches stürzten.
Ein Unfall, den zu überleben reine Glücksache war.
Auch der junge Türke nahm die Absprunghaltung ein, ähnlich wie ein Sprinter im Startblock. Als rechts neben ihm das Gitter auftauchte, richtete er sich zur vollen Größe auf, sprang vom Band auf das Rost, lief einige Meter mit der gleichen Geschwindigkeit wie das Band, bis er kurz vor dem Ende der Auslaufstelle zum Stehen kam. Er wartete, bis der Kollege, der vor ihm abgesprungen war, die Leiter freigegeben hatte, und verließ dann über diese die Abstiegsstelle, um die letzten Meter durch eine Wettertür zum Haltepunkt der Grubenbahn zu Fuß zurückzulegen.
Er zwängte sich durch die enge Tür ins Innere des letzten Wagens und quetschte sich auf einen der freien Plätze in der Nähe des Eingangs. Im Wagen war es bis auf die Helmleuchten dunkel, so daß Cengiz sein Gegenüber, das schwarz wie die Nacht war, nur dadurch erkennen konnte, daß er ihm mit der Lampe direkt ins Gesicht schien. Dies wurde jedoch nur zur Identifikation des anderen akzeptiert, da der helle Lichtschein blendete. Normalerweise wurde der Schein der Lampe so eingestellt, daß er lediglich den Boden ausleuchtete. So blieben Oberkörper und Gesicht der Kumpel stets im Halbdunkel. Gesprächsfetzen aus dem vorderen Teil des Wagens drangen zu Cengiz durch.
»Haste gestern das Spiel der Nationalmannschaft gesehen?«
»Warum der immer noch den Klinsmann aufstellt, weiß auch keiner.«
»Mußte morgen auch auf Mittagsschicht?«
»Nee, ich hab Frühschicht.«
»Scheiß Gekicke.«
»Da hat doch wieder einer im Mittwochslotto zwei Millionen abgeräumt.«
»Was würdste denn mit soviel Kohle machen?«
»Versaufen.«
Einige lachten.
»Hier aufm Pütt kommste doch sowieso auf keinen grünen Zweig. Soviel Überstunden kannze doch gar nicht kloppen.«
»Und die Hälfte davon tut sich Vater Staat inne Taschen.
Kannze doch vergessen.«
»Jetzt wollen die nun doch die Mehrwertsteuer erhöhen. Und alles nur wegen der Ossis.«
»Red kein Quatsch. Dat is wegen dem Euro. Wegen der Drei vor dem Komma.«
»Wat für ‘ne Drei?«
»Ich sach dir, dat is nur für die Wiedervereinigung. Wegen mir könnense die Mauer wieder aufbaun. Aber noch höher als vorher.«
»Du bis wohl völlig bekloppt. Mauer wieder aufbaun. Dann aber du auf er anderen Seite, nich hier bei Muttern, ob dat klar is.«
»Wer is hier bekloppt?«
»Ich find, die sollen erstma Asylanten nach Hause schicken.«
»Mensch, bist doch selber Ausländer, red doch nich so ‘n Scheiß.«
»Is meine Meinung.«
»Deine Meinung kannze dir irgendwohin stecken.«
Heftige Erschütterungen der Wagen warfen die Bergarbeiter kurz nach links und rechts. Lautes Fahrgeräusch ließ die Unterhaltung wieder einschlafen. Jeder hing seinen Gedanken nach, plante den bevorstehenden Feierabend.
In die entstandene Stille hinein fragte Kaya: »Sagt mal, das da mit Take off. Kann man da noch einsteigen?«
Der Schein einer Lampe suchte sein Gesicht. Für einen Moment sah er nichts mehr.
»Wer hat denn da den Furz abgelassen. Ach, du.« Der Lichtstrahl verschwand. »Halt bloß die Schnauze. Damit kannze hier aufm Pütt keinen Blumentopf mehr gewinnen.
Haben schon viele zuviel draufgezahlt.« Die Kumpels schwiegen ihn an.
»Ich mein ja nur.« So kam er nicht weiter, das war Cengiz klar.
»Meinen kannze. Aber mehr besser nich.« Das war die Stimme seines Steigers, der ergänzte: »Und schon gar nich bei mir im Drittel, klar?«
»Klar, Steiger.«
Nach dem Duschen und Umziehen sprach ihn auf dem Weg zum Parkplatz ein Kollege an, der, wie sich Kaya erinnerte, im Zug neben ihm gesessen hatte.
»Wart ma, Kollege.«
Cengiz blieb stehen. »Ja, was gibt’s?«
»Ich hab da vorhin gehört, du
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