Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
steuerte seinen Wagen in die freie Lücke. Noch bevor er den Motor abgestellt und die Wagentür geöffnet hatte, stürmte Stefanie aus dem Auto Richtung Hauptbahnhof. Rainer hatte Mühe, ihr zu folgen. Sie rannte durch die Eingangstür nach links, wo sich die Gepäckaufbewahrung befand. Vor der Wand mit den Schließfächern blieb sie stehen. Atemlos suchte sie die Reihen ab. Enttäuscht wandte sie sich ihrem Freund zu.
»Nichts. Hier gibt es nur Nummern bis Fünfzig.« Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Verdammt.«
»Pech gehabt. Hatte ich aber eigentlich nicht anders erwartet.«
Stefanie wurde wütend. »Nicht anders erwartet! Ich habe von dir nichts anderes erwartet. Immer der Obercoole mit dem vollen Durchblick, der seinem kleinen Weibchen erklärt, wie die Welt funktioniert.«
»Jetzt mach aber mal halblang. Ich kann doch nichts dafür, daß hier nicht einhundertfünfundzwanzig Fächer aufgestellt sind und der Schlüssel dann auch noch paßt. Ruf den Vorsitzenden der Bahn AG an und mach den zur Sau, aber bitte nicht mich.«
»Stimmt. War nicht in Ordnung. Vergessen?« Sie sah ihn mit dem Hundeblick ›Willst du, daß ich tot bin‹ an, von dem sie wußte, daß er dabei dahin schmolz like ice in the sunshine.
»Vergessen.«
Auf der Rückfahrt fragte sie: »Ob der Schlüssel von Klaus’
Bank ist? Er hatte sein Konto bei der Deutschen Bank, glaub ich. Ich bin mir nur nicht sicher, bei welcher Filiale.«
»In seiner Wohnung liegen doch die Kontoauszüge. Da steht’s sicher drauf«, antwortete Esch.
»Gute Idee. Also fahren wir zu Klaus.«
»Zu seiner Wohnung«, korrigierte Rainer.
Während der folgenden Minuten spekulierten sie darüber, warum die Kripobeamten den Schlüssel nicht bemerkt hatten.
Esch schloß sich der Auffassung seiner Freundin an, daß Alltägliches immer am wenigsten auffällt. Und da jeder an einem Schlüsselbund Schlüssel vermutete, war es mehr als wahrscheinlich, daß der Schlüssel den Polizisten deshalb nicht aufgefallen war, weil sie nicht nach selbigem suchten.
Außerdem stammte der Bund aus der Wohnung der Schwester des Toten, was ihn per se uninteressant erscheinen ließ.
Aus den Kontoauszügen war zu entnehmen, daß Klaus seine Geldgeschäfte über die Deutsche Bank, Filiale Recklinghausen-Mitte, abgewickelt hatte.
»Da gehe ich morgen nachmittag sofort hin und sehe nach«, meinte Stefanie.
»So einfach ist das nicht. Hast du denn schon einen Erbschein?«
»Nein, wieso?«
»Ich erklär’s dir, wenn du mich nicht nachher wieder als Klugscheißer beschimpfst.«
»Leg los, du Idiot.«
»Das hört sich schon besser an. Also, das ist so: Du gehst zum Amtsgericht und fragst dort nach dem Nachlaßgericht.
Dann suchst du da einen Rechtspfleger und beantragst einen Erbschein. Wenn du die einzige Erbin bist, geht das schnell.«
»Ich bin die einzige Erbin, das weißt du doch.«
»Ich ja, aber nicht das Gericht.«
»Und wie lange muß ich auf den Erbschein warten?«
»Wenn’s schnell geht, ein bis zwei Wochen. Ohne Erbschein kommst du an gar nichts ran. An kein Konto, an keine Versicherung und natürlich auch an kein Schließfach.«
»Puhh, zwei Wochen? Das dauert mir zu lange.«
28
Stefanie Westhoff verlebte, auch ohne ihren Freund, eine unruhige Nacht. Sie wälzte sich im Bett von links nach rechts.
Das mutmaßliche Schließfach und dessen Inhalt ließen sie nicht schlafen. Es war sehr ungewöhnlich von ihrem Bruder, ein Schließfach zu mieten und den Schlüssel bei ihr zu deponieren, ohne ihr etwas davon zu erzählen. Da mußte einfach mehr dahinter stecken. Bis zur Erteilung des Erbscheines jedenfalls konnte und wollte sie nicht warten. Sie verstand Rainers Ruhe nicht.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Ja, so könnte es gehen. Aber auf Rainers Hilfe konnte sie nicht setzen, er würde ihren Plan als Schnapsidee ad acta legen. Und wenn sie es sich recht überlegte, wäre er bei der Durchführung auch eher hinderlich.
Stefanie sprang aus dem Bett und suchte in ihren Unterlagen, bis sie die Karte fand, mit der Klaus – angeblich durch sie geworben – ein Zeitschriftenabo bestellt hatte. Sie hatte es übernommen, die Postkarte abzuschicken, um so das Werbegeschenk zu kassieren. Sie legte ein weißes Blatt Papier über die Karte und versuchte, die Unterschrift ihres Bruders mit einem Kuli nachzuziehen.
Erst nach mehreren Versuchen war sich Stefanie sicher, daß die Fälschung nicht auf den ersten Blick bemerkt würde. Dann setzte sie mit der
Weitere Kostenlose Bücher