Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
schon auf der Straße in den Schnellhefter zu schauen.
Das Bären Café auf dem Wall links neben dem Erlbruch hatte erst seit einigen Minuten geöffnet. Es war noch leer, und Stefanie konnte sich einen Platz aussuchen. Sie entschied sich für den zweiten Tisch am Fenster, der auf einem kleinen Podest stand. Sie bestellte einen Cappuccino, nahm den Schnellhefter und begann, den Inhalt durchzublättern.
Der Hefter enthielt fotokopierte, chronologisch sortierte Unterlagen, die auf den ersten Blick wie
Geschäftskorrespondenz der Bergwerks AG und des Bergwerkes Eiserner Kanzler aussahen.
Die ersten zwei Blätter waren das Angebot einer Firma Dekontent GmbH, Dekontaminierung und Entsorgung, mit Sitz in Cottbus vom Sommer letzten Jahres. Dekontent bot in diesem Schreiben dem Zentraleinkauf der Bergwerks AG an, Alt-und Hydrauliköle zu entsorgen, die leicht oder auch stark Dioxin-verseucht waren. Die Dekontaminierung, so war dem Angebot zu entnehmen, sollte in den werkseigenen Anlagen in Bitterfeld erfolgen. Die Öle sollten dort bei sehr hohen Temperaturen verbrannt und die Abgase in speziellen Filteranlagen gereinigt werden. Der Preis für die Entsorgung inklusive Abholung ab Bergwerk sollte sich auf 3.500 bis 5.500 DM je Tonne belaufen, je nach Verschmutzungsgrad.
Der Transport der Öle, so das Angebot, würde in speziellen Tankwagen entsprechend der Gefahrgutverordnung durchgeführt.
Im Anhang des Angebots befand sich ein Gutachten eines öffentlich vereidigten und bestellten Sachverständigenbüros aus Berlin, das den Verbrennungsanlagen der Firma Dekontent die Einhaltung aller technischen Sicherheitsstandards bescheinigte. Dies wurde durch eine Fülle von technischen Daten wie Kapazität der Anlage, Art und Anordnung der Filtersysteme, Entsorgung der Filterstäube, Verbrennungstemperatur und ähnlichem untermauert.
Nach der Lektüre von zwei Abschnitten und ohne ein Wort davon wirklich zu verstehen, schenkte sich Stefanie den Rest.
Bei den nächsten vier Schreiben handelte es sich um einen internen Briefwechsel der Bergwerks AG. Der Zentraleinkauf des Unternehmens, die Planungsstäbe des Bergwerkes Eiserner Kanzler und die Umweltschutzingenieure prüften Angebote verschiedener Entsorgungsfirmen, wobei technisches Know-how und Preiswürdigkeit im Mittelpunkt der Erörterung standen. Letztlich gab der insgesamt günstigere Preis den Ausschlag, die Firma Dekontent mit der Abwicklung zu beauftragen.
Unter einem der Schreiben entdeckte Stefanie Westhoff auch die Unterschrift ihres Bruders, der eine Einschätzung des Angebotes der Firma Dekontent vornahm.
Dahinter war die offizielle Auftragserteilung der Bergwerks AG vom vergangenen Winter an die Firma Dekontent abgeheftet. In diesem Schreiben verpflichtete der Bergbau den Entsorger, gemäß einem beiliegenden Pflichtenheft die Entsorgung der Altöle vorzunehmen und alle gesetzlichen und behördlichen Auflagen zu beachten. Die Bergwerks AG sagte zu, alle Altöle des Bergwerkes Eiserner Kanzler und der anderen Schachtanlagen des Unternehmens bis zu einer Menge von 2.000 Tonnen im Jahr exklusiv durch Dekontent entsorgen zu lassen. Die Auftragserteilung erfolgte zum 1. Januar dieses Jahres.
Am Schluß des Ordners entdeckte Stefanie im Original ein kleineres Blatt mit Berechnungen. Oben rechts stand als Datum der 4. August dieses Jahres. Sie meinte, die Handschrift als die ihres Bruders zu identifizieren, war sich aber nicht ganz sicher. Neben einer der Zahlen stand ein großes, rotes Fragezeichen.
Nachdenklich legte sie den Schnellhefter zur Seite. Ihr Bruder wäre kaum auf den Gedanken gekommen, einen Routinevorgang der Bergwerks AG in einem Bankschließfach zu deponieren. Also mußte mehr hinter den Unterlagen stecken. Und was hatte Klaus da für Berechnungen vorgenommen?
Stefanie griff erneut zum Schnellhefter und sah sich die Seite noch mal an. Besonders konzentriert versuchte sie die Bedeutung der Zahlen zu ergründen, die links neben dem roten Fragezeichen standen.
Kap. Verbr.: 300 kg/std las sie. Und darunter: 13Bw x 12 = 156
12 x 2 0x 300 = 72.000.
Die Berechnungen konnte sie mathematisch nachvollziehen.
Das war aber auch schon alles.
Resigniert bezahlte sie ihr Getränk, ging zum Parkplatz und fuhr zu ihrer Arbeitsstelle. Den ganzen restlichen Tag über ließ sie der Inhalt des Hefters nicht mehr los. Obwohl sie sich ihren Kopf zermarterte, kam ihr kein plausibler Grund für die Geheimniskrämerei ihres Bruders in den Sinn.
Im Laufe des Tages
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