Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
versuchte sie vom Büro des Optikerladens mehrmals erfolglos, Rainer telefonisch zu erreichen. Als sie es später von ihrer Wohnung aus erneut probierte, nahm er immer noch nicht ab. Sie hinterließ eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter und bat um Rückruf.
Ihre schon seit dem Morgen latenten Kopfschmerzen steigerten sich am späten Nachmittag. Sie hoffte, daß ein Entspannungsbad ihr helfen würde.
Zu Hause ließ sie Badewasser ein und gab wohlriechende, leicht ätherische Essenzen dazu. Kaum hatte sie es sich in der Wanne gemütlich gemacht, klingelte das Telefon. Wütend warf sie sich ihren Bademantel über und stürmte, kleine Wasserpfützen hinter sich lassend, zum Telefon.
»Westhoff. Rainer?«
»Nein, ich bin’s, Cengiz.«
»Ach, hallo.«
»Tag, Stefanie. Ich wollte eigentlich nur mein neues Spielzeug ausprobieren. Ich habe mir heute ein Handy gekauft.
Willst du dir meine Nummer notieren?«
»Ja, beziehungsweise nein. Jedenfalls nicht jetzt. Du hast mich aus der Badewanne gescheucht. Ich bin ganz naß, und mir ist etwas kühl. Kannst du später noch mal anrufen?«
»Klar. Natürlich. Bis dann.«
»Tschüs.« Sie legte auf und hüpfte zurück ins warme Wasser.
Nach einigen Minuten lösten sich ihre Verspannungen im Nacken. Wohlig räkelte sie sich in der Wanne.
Das Bad hatte ihr gutgetan. Ihre Kopfschmerzen waren verflogen. Sie machte es sich auf dem Sofa bequem, bis sie der erneute Anruf ihres türkischen Freundes aufschreckte.
Stefanie schilderte Cengiz die Ereignisse des Vormittages und bat ihn, sich auf der Schachtanlage und bei seinen Kollegen nach einer Firma Dekontent zu erkundigen. Kaya versprach, sich darum zu kümmern.
Nach dem Telefonat goß Stefanie einen Tee auf, schnappte sich den angefangenen Roman und rollte sich wieder mit einer Decke, die sie bis zu den Ohren hochzog, auf der Couch zusammen. Nach einer guten halben Stunde schlief sie so fest, daß sie auch das lange Klingeln des Telefons nicht mehr aufweckte.
29
»Was willst du wissen? Ob ich eine Firma Dekontent kenne?
Warum interessiert dich das?« Karl Müller, der Reviersteiger von Cengiz Kaya, war verblüfft. Einen türkischen Bergmechaniker, der sich für Lieferanten oder Kunden des Unternehmens interessierte, hatte es bis jetzt noch nicht in seiner Reviermannschaft gegeben.
Cengiz spulte seine zurechtgelegte Antwort ab. »Nur so. Ein Freund von mir ist Kraftfahrer. Der will sich da als Fahrer bewerben. Da aber sein alter Job langfristig sicher ist, möchte er vor seiner Kündigung wissen, ob das Angebot von der Firma auch ‘ne wirkliche Perspektive für ihn ist. Er hat gehört, daß die Firma für die Bergwerks AG arbeitet. Deshalb hat er mich gefragt. Und ich frag dich.«
»Ach so. Ich weiß da auch nichts Genaues. Aber einmal in der Woche kommt von denen ein Tankwagen und pumpt das Öl an der Altölsammelstelle ab. Ich glaube sogar, der kommt heute. Wenn du mehr wissen willst, mußt du dich an die Umweltheinis wenden. Wenn die dir überhaupt was sagen können oder wollen.«
»Danke für die Auskunft, Steiger.«
»Wenn’s mehr nicht ist.«
Nach Schichtende ging Kaya zur Altölsammelstelle auf dem Zechenplatz und suchte nach dem Vorarbeiter.
»Glück auf. Hör mal, Kumpel«, sprach er den Lagerarbeiter an. »Wir wollen morgen auf Frühschicht in mehreren Revieren Getriebe wechseln. Mein Obersteiger läßt fragen, ob wir noch zwei-bis dreihundert Liter Getriebeöl bringen können oder ob das Lager voll ist.«
»Morgen? Null Problem. Der Tankwagen kommt heute noch.
Holt die zwei-, dreitausend Liter raus. Ist dann alles leer.«
»Danke. Glück auf.«
»Auf.«
Cengiz Kaya dachte auf dem Weg zum Zechentor über seinen nächsten Schritt nach. Ohne sich über den Grund seiner Entscheidung klar zu sein, entschloß er sich, auf den Tankwagen zu warten und diesem dann zu folgen.
Kaya beeilte sich, zu seinem Wagen zu kommen. Er fuhr auf der Herner Straße am Bergwerk vorbei, bis er eine scharfe Linkskurve erreichte. Rechts an der Ecke befand sich eine ehemalige Gaststätte, die geschlossen war, seit sie als illegale Spielhölle von der Polizei ausgehoben worden war. Er stellte seinen Wagen so neben der Kneipe ab, daß er das Haupteinfahrtstor der Zeche auf der Herner Straße problemlos beobachten konnte, und lehnte sich im Sitz zurück, um es sich nach der anstrengenden Schicht etwas bequemer zu machen.
Das Martinshorn eines vorbeifahrenden Krankenwagens schreckte ihn auf. Scheiße, dachte er,
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