Zweyer, Jan - Rainer Esch 03
reden und ordentlich ins Gericht gehen. Nur, bitte lassen Sie die Kinder bei mir.«
»Bestimmt.«
Sofern nicht das Jugendamt wirklich hinter die Erpressung kommt, sagte Rainer im Stillen zu sich.
Im Fahrstuhl nach unten dachte Rainer nach. Sein Auftritt war eine echte Glanzleistung des verdeckten Ermittelns gewesen. Das einzige greifbare Ergebnis war, dass er nun definitiv wusste, dass Polle Dennis’ Bruder war. Da er aber keine Ahnung hatte, wie Polle aussah, brachte ihn das auch nicht viel weiter. Dafür wusste nun aber Dennis, wie Rainer selbst aussah. Außerdem hatte er das Gefühl, dass der Kleine ihn sowieso wieder erkannt hatte. Eine erneute Verfolgung des Jungen würde sehr schwierig.
Er ging zu seinem Wagen, von dessen Standort er den Eingang des Hochhauses beobachten konnte, und begann auf etwas zu warten, von dem er nicht genau wusste, was es sein würde.
Nicht besser erging es zwei Kripobeamten, die drei Fahrzeuge weiter in einem unauffälligen weißen Golf hockten und Esch nicht aus den Augen ließen.
Zehn Minuten später verließ Monika Kirchner das Hochhaus und lief direkt auf den roten Mazda zu. Rainer rutschte auf dem Sitz nach unten und machte sich so klein, wie er nur konnte. Glücklicherweise nahm die Frau keine Notiz von den geparkten Fahrzeugen. Sie ging eilig weiter Richtung Kreuzkirche und verschwand nach kurzer Zeit aus Eschs Blickfeld. Er schaltete das Radio ein, lehnte sich im Sitz zurück, zündete sich eine Reval an und wartete.
Nach knapp zwei Stunden ging Esch das Rumsitzen ziemlich auf die Nerven. Zahlreiche Personen hatten das Hochhaus zwischenzeitlich betreten und verlassen, darunter auch einige Jugendliche und Kinder mit Taschen oder Rucksäcken. Keiner von ihnen war Dennis. Und ob Polle darunter gewesen war, vermochte Rainer nicht zu beurteilen. Einer der Jugendlichen, der das Gebäude betrat, kam ihm zwar bekannt vor; so sehr er sich aber das Gehirn zermarterte, es fiel ihm beim besten Willen nicht ein, wo er den Jungen schon einmal gesehen hatte.
Rainer wollte gerade seinen Beobachtungsposten verlassen und zurück nach Recklinghausen fahren, als Dennis und der Jugendliche, den Rainer zu kennen glaubte, gemeinsam das Haus verließen. Sie schlugen die Richtung zur Fußgängerzone ein.
Esch wartete einen Moment, bis die beiden etwa hundert Meter Vorsprung hatten, verließ dann seinen Flitzer und lief ihnen nach. Er war so sehr damit beschäftigt, nicht entdeckt zu werden, dass ihm die folgenden Zivilpolizisten nicht auffielen.
Es war nicht schwer, sich unter den zahlreichen Passanten auf der um diese Zeit noch belebten Einkaufsstraße zu verstecken.
Dennis und sein Begleiter gingen die Bahnhofstraße herunter bis zum Robert-Brauner-Platz, durchquerten die kleine Einkaufspassage zwischen Drogeriemarkt und Fotogeschäft und erreichten die Von-der-Heydt-Straße, an der sie erst mehrere Busse passieren lassen mussten, bevor sie die Straße kreuzen konnten.
Rainer studierte interessiert die Schaufensterauslagen in der Passage und erfuhr so die spannende Tatsache, dass die Entwicklung eines 9 x 13 Zentimeter großen Farbabzugs nur zwölf Pfennige kostete. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die zwei Jungen. Plötzlich wusste er, wo er Dennis’ Begleiter schon gesehen hatte: bei der Übergabe der erpressten Zigaretten.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite verschwand der ältere der beiden Brüder in einer Kneipe namens Karlseck, während Dennis neben dem Coop-Markt wartete. Nach etwa fünf Minuten traten der Jugendliche und ein jüngerer Mann aus der Pinte, den Esch sofort erkannte. Der Kerl hatte die Zigaretten in Empfang genommen.
Der Schwarzhaarige redete kurz, aber gestikulierend auf Dennis ein, der lange und bestimmt mit dem Kopf schüttelte.
Ehe Rainer wusste, was geschah, lief Dennis zwischen zwei Bussen über die Straße auf die Passage und Rainers Standort zu, entdeckte Esch und blieb wie versteinert einen Meter vor ihm stehen. Dann wirbelte er herum und machte Anstalten, Fersengeld zu geben.
Esch erwischte Dennis gerade noch am Hemdkragen und zog das sich heftig wehrende Kind zu sich heran.
»Lass mich los«, schrie Dennis und versuchte, sich zu befreien. »Lass mich los, du tust mir weh.«
Rainer, der nicht im Geringsten daran dachte, seinen Griff zu lockern, beobachtete, wie der Mann und der andere Junge, ohne auf ihn und Dennis aufmerksam geworden zu sein, hinter einem Bus der Linie 311 verschwanden. Dennis setzte seine Befreiungsversuche
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