Zweyer, Jan - Rainer
Monatsbrutto Streitwert. Zwei Dutzend solcher Mandate alle vier Wochen und er müsste nur noch jeden zweiten Tag in sein Büro kommen. Halbtags.
Rainer reichte Margit Krämke eine Vollmacht. »Wenn Sie bitte unterschreiben. Wir werden die Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl anfechten und das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses beantragen.«
»Ich muss dann wieder dort arbeiten?«
Diese Frage hatte Rainer erwartet. Er kannte kaum einen Kündigungsschutzprozess, bei dem einer der beiden Seiten ein gesteigertes Interesse an einer Weiterbeschäftigung hatte. »Ja.«
Sie wirkte enttäuscht.
»Es sei denn, Ihnen kann eine Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden.«
Margit Krämke erhob sich fast. »Das können Sie laut sagen.
Ich will ja hier nicht aus der Schule plaudern, aber…« Sie machte eine abwertende Handbewegung. »Nur gut, dass ich da weg bin. Irgendwie ist da doch auch jede Menge Schmu gelaufen.«
Rainer interessierte die schmutzige Wäsche, die in solchen Fällen meistens gewaschen wurde, herzlich wenig. Er dachte an den Kicker und das Bier. »Sie möchten also nicht weiterbeschäftigt werden?«
Seine Mandantin schüttelte heftig den Kopf.
»Gut. Das sollten Sie aber für sich behalten. Sonst…«
»Von mir erfährt keine Menschenseele was.«
»Wir werden also versuchen, die Unzumutbarkeit feststellen zu lassen, und dann eine Abfindung…«
»Wie hoch wäre die?«, unterbrach ihn die Frau.
»Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Die Regelabfindung beträgt einen halben Bruttolohn für jedes Beschäftigungsjahr.«
Als er bemerkte, dass Margit Krämke in Gedanken dabei war, den Geldsegen bereits auszugeben, setzte er schnell hinzu:
»Einen Teil müssen Sie aber versteuern.«
Die Dollarzeichen in den Augen der Rechtssuchenden blinkten nicht mehr so heftig. »Wie viel?«
»Das müsste ich nachschlagen. Ich werde Ihnen den Betrag bei unserem nächsten Gespräch nennen. Jetzt gehen Sie zum Arbeitsamt und melden sich arbeitslos. Wir sehen uns dann in einigen Wochen wieder.«
Er zog seine Mandantin fast aus dem Stuhl und schob sie Richtung Bürotür. »Auf Wiedersehen, Frau Krämke.«
Als sie gegangen war, überprüfte er die Uhr. Halb drei. Und die Luft in seinem Büro wurde auch immer stickiger. Kurz entschlossen marschierte er Richtung Kanzleiausgang. Da die Tür zu Elkes Büro geschlossen war, rief er ins Vorzimmer:
»Hat Elke Mandanten?«
»Ja«, antwortete Martina Spremberg. »Eine Scheidungssache.
Die Frau ist völlig aufgelöst.«
Rainer verstand. Da konnte er nicht stören. »Sag Elke bitte, dass ich in einer Stunde wieder da bin. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
10
»Feinde?« Klaus Lehmann spielte nervös mit seiner Zigarettenschachtel. »Wie soll ich das verstehen?«
Rüdiger Brischinsky meinte nicht, seine Frage unklar formuliert zu haben. »Am besten wörtlich.«
Sie saßen auf schweren Ledermöbeln im Wohnzimmer des Apothekerehepaares und blickten durch raumhohe Fenster auf einen mit Schilf bewachsenen Teich, der gut die Hälfte des großen Gartens einnahm. Die Fenster waren geschlossen. Im Zimmer war es angenehm kühl. Eine Klimaanlage, vermutete Baumann. Riesige Regale mit Büchern bedeckten zwei Wände.
An der dritten Wand hingen moderne, großformatige Ölgemälde, die Brischinsky an die künstlerischen Produkte seines vierjährigen Nachbarskindes erinnerten.
Heiner Baumann hatte, als sie den Raum betraten, mit Kennerblick die große Sammlung von Science-Fiction-Romanen bewundert, darunter auch die Abenteuer Perry Rhodans, in Leinen gebunden und mit Goldbesatz.
»Komplett?«, hatte er Klaus Lehmann gefragt.
»Ja. Selbstverständlich erste Auflage«, hatte dieser mit Besitzerstolz geantwortet.
Baumann war gebührend beeindruckt gewesen. Jetzt hielt er seinen Notizblock auf dem Oberschenkel und wartete darauf, dass Lehmann eine Aussage machte, die notierenswert war.
Der Apotheker steckte sich eine Zigarette an. »Ich bin Geschäftsmann. Natürlich gibt es hier und da Unstimmigkeiten. Mit Lieferanten zum Beispiel. Aber deshalb von Feindschaft sprechen? Nein, das geht zu weit.« Er warf einen Blick zu seiner Frau, die neben ihm auf dem Sofa saß und ein Gesicht machte, als ob sie das alles überhaupt nichts anging. Maria Lehmann war Anfang vierzig, schlank und braun gebrannt. Baumann waren ihre Hände sofort aufgefallen.
Feingliedrig wie die einer Klavierspielerin, perfekt manikürt.
Und auch
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