Zweyer, Jan - Rainer
ansonsten erweckte Maria Lehmann den Eindruck, gerade auf dem Weg ins Opernhaus gewesen zu sein.
»Hat es in letzter Zeit Unstimmigkeiten gegeben?«
Lehmann dachte nach. »Nein, eigentlich nicht.«
»Wann dann?« Brischinsky gewann mehr und mehr den Eindruck, dass sie ihre Zeit vergeudeten.
»Na ja, vor etwa einem Jahr war etwas…« Der Apotheker zögerte. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich…«
»Keine Sorge«, ermunterte ihn der Hauptkommissar und grinste breit. »Wir erzählen es nicht weiter.«
»Na gut. Ein Patient benötigte ein sehr starkes Schmerzmittel. Lungenkrebs. Im Endstadium. Sie verstehen?«
Lehmann blickte skeptisch auf seine Zigarette. »Ein stark morphiumhaltiges Präparat. Eigentlich sollten solche Medikamente nur im Krankenhaus verabreicht werden. Die Gefahr eines Missbrauchs ist zu groß. Aber das ist meine persönliche Meinung.«
»Sie meinen, ein Patient könnte das Medikament verkaufen?«, warf Baumann ein.
Lehmann lachte kurz auf. »Das nun nicht gerade. So schwer erkrankte Menschen benötigen diese Mittel wirklich. Nein, Suizidgefahr. Zwanzig von den Kapseln und finito. Deshalb wird streng auf die Packungsgröße geachtet. Nie mehr als zehn Kapseln pro Woche.«
»Aber der Patient könnte doch den Packungsinhalt von zwei oder drei Wochen…«, warf Baumann ein.
»Die Schmerzen wären unerträglich, glauben Sie mir.«
»Was war nun mit dem Mittel?«, lenkte Brischinsky das Gespräch wieder in die ursprüngliche Bahn.
»Wir beziehen unsere Medikamente in der Regel von einem Grossisten aus Münster. In diesem Fall aber hatte er das Präparat nicht vorrätig. Also sind wir auf einen Zwischenhändler in Köln aus gewichen, mit dem wir bis dahin keine Geschäftsbeziehungen unterhielten. Als dieser lieferte, war weder meine Frau noch ich in der Apotheke. Die Lieferung hat unzulässigerweise eine Auszubildende angenommen und quittiert. Später, bei der Kontrolle der Ware, fehlten fünf Packungen des Schmerzmittels. Unsere Auszubildende, sie ist im Übrigen immer noch bei uns, schwört Stein und Bein, dass ihr die Medikamente nicht übergeben wurden.« Lehmann zuckte mit den Achseln.
»Allerdings hat sie den Empfang quittiert. Obwohl wir ihr geglaubt haben, lag die Beweislast bei uns. Wir haben sogar einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Leider umsonst. Wir mussten zahlen.«
»Ein solcher Aufwand wegen fünf Packungen Pillen?«, wunderte sich Baumann.
»Diese Medikamente sind nicht nur sündhaft teuer, sondern machen, über längere Zeit eingenommen, abhängig. Außerdem können sie als Heroinersatz dienen. Wir heben solche Präparate in besonders gesicherten Bereichen auf. Der so genannte Giftschrank, Sie verstehen. Und wenn solche Medikamente einfach verschwinden… Es gab eine Untersuchung der Apothekerkammer, die – es ist mir etwas unangenehm, darüber zu sprechen – mit einer Verwarnung abgeschlossen wurde. Wir hatten fahrlässig unsere Sorgfaltspflicht verletzt.«
»Das war alles?« Brischinsky schien fast enttäuscht.
»Uns hat es gereicht. Wir haben alle Geschäftsbeziehungen zu diesem Lieferanten abgebrochen.«
»Wie heißt der Händler?«, fragte Baumann.
»Irgendetwas mit Medica, Medico… Erinnerst du dich an den genauen Namen?« Lehmann sah zu seiner Frau hinüber. Die schüttelte den Kopf.
»Ich müsste in meinen Unterlagen… Nein, das geht ja wohl nicht. Zumindest nicht so schnell. Oder wann dürfen wir wieder in unser Haus?«
»Keine Ahnung.« Brischinsky schielte auf die Zigarettenpackung.
»Aber unser Anwalt hat die Unterlagen sicher noch. Hat das noch etwas Zeit? Ich könnte ihn morgen anrufen.«
»Das reicht. Danke. Herr Lehmann, haben Sie Schulden?«
Der Hauptkommissar behielt den Befragten genau im Auge.
Stattdessen antwortete überraschend die Apothekerin.
»Schulden? Herr Hauptkommissar«, sie machte eine raumgreifende Armbewegung. »Ich möchte nicht überheblich erscheinen, aber sieht das hier so aus, als ob wir verschuldet wären?« Sie warf ihr Haar nach hinten und lächelte kalt. Dann lachte sie kurz auf. Es klang gekünstelt.
Dem Kommissar imponierte das Gehabe der Frau wenig. »Es wurden schon ganze Volkswirtschaften auf Pump gebaut und später… Pffft.«
Die Analogie seines Vorgesetzen erinnerte Baumann schmerzlich an seine Aktien. Im Sommer 1999 hatte er einen größeren Geldbetrag in einen Investmentfonds investiert, der ausschließlich Technologiewerte des Neuen Marktes umfasste
– darunter auch einige Firmen, die sich in der
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