Zweyer, Jan - Rainer
murmelte er. »Wird Zeit, dass ich ins Bett komme.«
Der Trucker drehte das Radio auf, stellte die Temperatur der Klimaanlage herunter, schaltete das Gebläse auf volle Leistung und richtete die Luftstromdüsen auf sein Gesicht. Der kalte Windstrom tat ihm gut.
Er sah auf die Uhr. Kurz vor elf. Noch zwei Stunden bis Frankfurt. Wolfgang Diek gähnte heftig.
Maria Lehmann verließ um Punkt elf Uhr das kleine Hotel in der Nähe von Butzbach, abseits der Sauerlandlinie. Nachdem ihr Mann sich gestern bis zur Besinnungslosigkeit betrunken hatte, war sie hierher gefahren, sie kannte das Haus von früheren Besuchen mit ihren wechselnden Liebhabern. Sie verstaute ihre Reisetasche im Kofferraum des Porsche Cabrio und platzierte den Aktenkoffer sorgfältig im Fußraum hinter dem Fahrersitz. Dieser Koffer war ihr Leben, er enthielt ihre Zukunft.
Sie hatte mit einem solchen Ende gerechnet und ihre Vorkehrungen getroffen. Nur gut, dass Klaus ihr den finanziellen Teil ihres Geschäftes überlassen hatte. Sie hatte Vollmachten zu allen Konten und den Schlüssel zum Banksafe. Fast eine Million in Wertpapieren und cash befanden sich in der schlichten rotbraunen Tasche hinter ihr.
Trotzdem war es ärgerlich, dass ihr Mann die Nerven verloren hatte. Zwei, drei Monate hätten sie das Geschäft wirklich allein machen können, ohne Hendrikson. Ein Vierteljahr. Das wären sichere einhunderttausend mehr gewesen. So lange hätten sie die Prüfer der Krankenkassen noch hinhalten können, keine Frage. Hendrikson hatte doch nur geblufft. Die Explosion war ein Betriebsunfall gewesen, mehr nicht. Klaus, dieser Schwächling! Vermutlich saß er schon bei der Kripo. Aus Angst um sein armseliges Leben. Wenn er denn schon wieder unter den Lebenden weilte. Sie schüttelte verächtlich den Kopf und steckte sich eine Zigarette an. Die Apothekerin drehte den Zündschlüssel. Über zweihundert Pferdestärken machten sich an die Arbeit. Der CD-Player setzte ein. Marilyn sang Diamonds are the girl’s best friend. Maria Lehmann legte den ersten Gang ein und steuerte den Porsche zurück auf die A 45.
In etwa fünf Stunden dürfte sie die Schweizer Grenze passiert haben.
Das tiefe Dröhnen einer Trucksirene scheuchte ihn hoch.
Nach einer Schrecksekunde riss er das Lenkrad nach rechts.
Der Sekundenschlaf, der schon so vielen übermüdeten Autofahrern zum Verhängnis geworden war. Dieki liebte seinen Beruf, aber langsam wurde es ihm zu viel. Er war jetzt fast fünfzig und seit mehr als dreißig Jahren auf der Piste. Ihm konnte keiner etwas vormachen. Er kannte alle Tricks. Aber in den letzten zehn Jahren…
Seine Firma fuhr vornehmlich für die großen Automobilproduzenten. Diese waren zunehmend dazu übergegangen, Teile ihrer Lagerhaltung ihren Zulieferern zu übertragen. Diese mussten jetzt die geforderten Teile zu auf die Stunde festgelegten Zeiten liefern. ›Just in time‹ nannten sie das. Leidtragende waren wie so oft die Fahrer der Speditionsunternehmen. Sie wurden von ihren Firmen verpflichtet, die Lieferzeiten einzuhalten. Und wenn sie im Stau standen, fuhren sie dann des Öfteren länger als die erlaubten acht Stunden, um ihren Chefs Regressforderungen zu ersparen. Gestern war so ein Tag gewesen. Abends um sechs war er im Ruhrgebiet losgefahren, einen Container mit Mercedesteilen am Haken. Spätestens nachts um zwei hatte er seine Stammraststätte kurz vor Sindelfingen erreichen und dort übernachten wollen, um pünktlich um acht an der Laderampe zu stehen. Er hatte sich auch um nur fünf Minuten verspätet, dafür aber keine Minute geschlafen. Vollsperrung der Autobahn am Frankfurter Kreuz. Sechs Stunden hatte ihn das gekostet. Der ganze Papierkram, die neue Ladung in Stuttgart.
Über zwanzig Tonnen Schrauben. Und nun noch der Termin in Frankfurt. Um zwei. Und dann schlafen…
Kurz hinter Frankfurt war sie in einen Gewitterregen gekommen. Aber jetzt trocknete die Bahn schon wieder. Kaum Verkehr. Sie hatte freie Fahrt. Maria Lehmann drückte das Gaspedal langsam tiefer. Der Turbo setzte ein und der Wagen machte einen Sprung. Die Tachonadel ließ die zweihundert hinter sich. Das Schild, das die nächste Ausfahrt Seeheim ankündigte, flog vorbei. Die Apothekerin lächelte. Wenn das so weiterging, war sie in drei Stunden in Konstanz. Sie beugte sich zur Seite, um die CD zu wechseln.
Das Schild Seeheim 1 km bemerkte Dieki nicht. Sein Kopf war auf die Brust gefallen. Als das linke Vorderrad der Zugmaschine den Mittelstreifen berührte,
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