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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David R. George III
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die dichten, wogenden Wolken starrten zu-rück, unveränderlich und undurchdringlich wie die Wände eines Gefängnisses.
    Ihr Finger schmerzte, und als sie ihn betrachtete, sah sie, dass Blut aus einer kleinen Wunde strömte. Sie steckte ihn in den Mund, um sie zu reinigen und schaute dann erneut hin. Der Schnitt war tief und füllte sich schnell wieder mit Blut.
    Sie behielt den Finger im Mund, stand auf und beschritt den Pfad, den sie zwischen den Wrackteilen geschaffen hatte und der zum Lager führte. Dabei dachte sie an Vaughn, der ebenfalls irgendwo allein durch die Stille marschierte. Und sie fragte sich, wie es ihm wohl momentan ging. Nach seinem gestrigen Aufbruch hatte sie sich mit dem Transporter befassen und damit trotz der Umstände eine gewisse Normalität aufrechterhalten können, solange sie sich auf die Arbeit konzentrierte.
    Doch nun …
    Heute war alles anders. Immer wieder waren Prynns Gedanken während der Arbeit abgeschweift. Sie hatte an die Tage nach dem Tod ihrer Mutter gedacht und an das fürchterliche Gefühl des Verlustes, das sie seit damals nie wirklich verlassen hatte und, wie sie wusste, auch nie verlassen würde. In diesen morbiden Gedanken setzte sie sich vermutlich mit ihrer eigenen Sterblichkeit auseinander
    – und ihr eigener Tod mochte nur noch Stunden entfernt sein. Bis zur Rettung durch die Defiant vergingen mindestens noch anderthalb Tage, und Vaughns Glück an der Quelle des Impulses war im Bestfall ungewiss. Prynn wollte nicht sterben und würde alles tun, um es zu verhindern, doch in Gedanken war sie schon bei ihrer Mutter. Egal, wie sehr sie sich auf den Transporter konzentrierte, kamen ihr wieder und wieder die Tage voller Verzweiflung in den Sinn, die auf ihren Tod folgten.
    Und diese Tage dauern immer noch an , dachte sie. Ob sieben oder siebzig Jahre – jeder neue Tag war ein Tag nach der Katastrophe.
    Daran würden auch die nächsten anderthalb Tage nichts ändern, wie sie auch ausfallen mochten.
    Sie passierte das verkohlte Heck des Shuttles und sah das Lager vor sich. Shar hatte sich nicht vom Fleck bewegt. Prynn nahm einen Hautregenerator aus dem Medikit, reinigte ihre Wunde erneut und führte das Gerät an ihren Finger. Ein dünner blauer Strahl kam aus seiner Spitze, begleitet von einem hohen Piepsen. Während sie das heilende Licht über ihren Finger gleiten ließ, wuchs ihr Fleisch wieder zusammen. Nach knapp einer Minute konnte sie den Regenerator abschalten.
    Eine Bewegung im Augenwinkel! Prynn fuhr herum, sah jedoch nichts. Jenseits des Lagers war nur flaches Land. Ratlos schaute sie auf ihre Matte, dann zu Shar …
    Die Augen des Andorianers waren offen und auf sie gerichtet.
    Shar ähnelte einer Leiche. Ein leerer Blick in einem aschfarbenen Gesicht, das jegliche Energie verloren zu haben schien. Einen Moment lang stockte ihr der Atem. Dann schälte er eine Hand aus seiner Decke – langsam, beschwerlich.
    Prynn rannte zu ihm, kniete neben ihm nieder und tauschte den Hautregenerator gegen den Trikorder ein. Während sie Shar scannte, hielt sie seine Hand. Abgesehen von Flüssigkeitsmangel hatte sich sein Zustand nicht verändert.
    Beruhigt legte sie den Trikorder beiseite. Shar wollte sprechen, doch sein Mund brachte nur leise, schmatzende Geräusche hervor.
    Prynn gab ihm etwas Wasser und hob seinen Kopf an, während er trank. Beim ersten Schluck hustete er, behielt den Rest aber bei sich.
    Als er fertig war, ließ sie seinen Kopf wieder auf die Matte sinken.
    »Ihr Auge«, sagte Shar, und sie entsann sich ihrer eigenen Verletzung.
    »Schon in Ordnung«, erwiderte sie. »Sieht schlimmer aus, als es ist.«
    »Was ist mit Ihnen geschehen?«, fragte er. »Und mit mir?« Prynn erzählte ihm vom Absturz und deutete zum zwanzig Meter entfernten Wrack. Shar folgte ihrem Blick. »Was ist mit Commander Vaughn?«, wollte er als Nächstes wissen, die Stimme voller Sorge.
    »Es geht ihm gut«, antwortete sie knapp und spürte zu ihrer eigenen Überraschung Wut in sich aufsteigen. Warum? , fragte sie sich.
    Weil sich jemand nach meinem Vater erkundigt? Warum sollte sie das wütend machen?
    Weil er es nicht verdient hat, dass man sich um ihn sorgt , antwortete sie sich selbst. Dabei hoffte sogar sie, dass es ihm gut ging. Schließ-
    lich arbeitete er an der Rettung von vier Milliarden Lebewesen. Nur weil sie ihn verachtete, musste sie ihm noch lange nicht den Tod wünschen.

    Langsam berichtete sie Shar von Vaughns Plan, die Quelle des Impulses zu Fuß zu erreichen

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