Zwielicht in Cordoba
verschlossener Blick darauf hindeutete, daß sich ihre Haltung allmählich ändern mochte.
»Ja, Tiberius!« Helenas Lächeln wirkte wie der gütige Blick einer Sibylle kurz vor der Prophezeiung eines Weltkrieges.
»Oh«, sagte Claudia. Dann fügte sie in ihrer ernsthaften Art hinzu: »Ich bin mit Großvaters Kutsche gekommen. Soll ich Tiberius vielleicht von hier fortbringen?«
»Das wäre außerordentlich freundlich«, erwiderte Helena. »Sie sehen, auch ich bin heute sehr offen.«
»Mir macht das nichts aus«, erwiderte Claudia leise. »Ich wollte sowieso mit ihm reden.« Das war der Moment, in dem ich mir Sorgen um Claudia zu machen begann.
Ich betrachtete unsere Besucherin jetzt freundlicher. Sie trug einen dunklen Schleier, obwohl sie ihn nur nachlässig übergeworfen hatte, als hätte eine Dienerin sie in letzter Minute dazu überredet. Für das Gespräch mit uns war sie ohne Begleitung gekommen. Wieder trug sie das blaue Kleid, das ich schon mal an ihr gesehen hatte, war aber nicht so sorgfältig zurechtgemacht. Ihre Haare hatte sie wie üblich streng zurückgekämmt, was ihre lange Nase betonte. Als reiche Erbin hätte sie sich eigentlich in ein todschickes, durch Onyxschmuck zusammengehaltenes Trauergewand werfen müssen. Aber es konnte auch sein, daß sie durch ihren Schmerz zu abgelenkt war.
»Ich denke, wir sollten Tiberius in unserer eigenen Kutsche nach Hause schicken«, widersprach ich.
Helena warf mir einen verärgerten Blick zu. Sie konnte es nicht erwarten, ihn loszuwerden. »Marcus, Claudia Rufina sagt, sie möchte mit ihm sprechen.«
»Über was, Claudia?« fragte ich knapp.
Claudia sah mir direkt in die Augen. »Ich will ihn fragen, wo er war, als mein Bruder starb.«
Ich erwiderte ihren Blick mit der gleichen Direktheit. »Er war hier. Wegen seiner Verletzung kann er nicht reiten. Gleich nach seinem Sturz bestand Helena darauf, daß er von einem Arzt untersucht wird. Wir wissen, daß seine Verletzung schwerwiegend ist.«
Claudia senkte den Blick, sah bedrückt und verwirrt aus. Zu fragen, warum irgendwer an Quadratus’ Verletzung zweifeln sollte oder warum wir uns eigens vergewissert hatten, daß er ein Alibi besaß, fiel ihr nicht ein. Sie mochte eine Ahnung von unseren Zweifeln an ihm haben, scheute aber immer noch vor deren voller Bedeutung zurück.
Helena verschränkte die Hände über dem Bauch. »Sagen Sie uns, warum Sie mit Marcus Didius sprechen wollten.«
»Er führt Ermittlungen durch«, erklärte Claudia in stolzem Ton. »Ich möchte ihn engagieren, damit er herausfindet, wie Constans getötet wurde.«
»Glauben Sie denn nicht, was man Ihnen darüber erzählt hat?« fragte ich.
Erneut trotzte mir Claudia mit einem herausfordernden Blick. »Nein, das tue ich nicht.«
Ich überging das Drama. »Weiß Ihr Großvater, daß Sie zu mir gekommen sind?«
»Ich kann es mir leisten, Sie zu bezahlen!«
»Dann verhalten Sie sich geschäftsmäßig und beantworten Sie meine Frage.«
Claudia wurde vor unseren Augen regelrecht vom Kind zur Erwachsenen. »Mein Großvater wäre außer sich. Er verbietet jede Diskussion über das, was geschehen ist. Also habe ich ihm nicht gesagt, daß ich herfahren würde oder warum.«
So gefiel sie mir schon viel besser. Sie war jung und verwöhnt, aber sie ergriff die Initiative. Helena hatte den Wechsel meines Gesichtsausdruckes mitbekommen und schaute nun weniger kritisch. So sanft wie möglich erklärte ich dem Mädchen: »Schauen Sie – die Leute kommen ständig zu mir und behaupten, ihre Verwandten seien unter verdächtigen Umständen gestorben. Im allgemeinen irren sie sich. Die meisten Menschen, die eines unnatürlichen Todes sterben, sind von nahen Verwandten ermordet worden, also bittet man mich nicht um Hilfe, weil die Familie die Wahrheit zu vertuschen sucht. Wenn ich gebeten werde zu ermitteln, finde ich fast immer heraus, daß die fragliche Person gestorben ist, weil ihre Zeit um war, oder daß tatsächlich ein Unfall vorliegt.«
Claudia Rufina atmete langsam und tief durch. »Ich verstehe.«
»Ich glaube Ihnen, wie schwer es ist, sich mit dem Verlust von Constans abzufinden, aber Sie werden vielleicht einfach hinnehmen müssen, daß es ein tragischer Unfall war.«
Sie bemühte sich mit aller Kraft, vernünftig zu wirken. »Sie werden mir also nicht helfen.«
»Das habe ich nicht gesagt.« Begierig schaute sie auf. »Etwas hat Sie heute hierher geführt, wo Sie doch eigentlich trauern und Ihre Großmutter trösten sollten.
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