Zwielicht in Cordoba
(abgesehen vielleicht von einer kurzen Rückkehr, um mir das Kind aufzuhalsen) – oder sie mitzunehmen.
Ich versuchte es mit einem alten Trick, nahm ihr Gesicht in beide Hände und schaute ihr anbetend in die Augen.
»Du verschwendest nur deine Zeit«, teilte sie mir ruhig mit. Der Trick hatte versagt. Ich machte noch einen weiteren Versuch, drückte ihr den Finger auf die Nasenspitze und lächelte sie flehend an. Helena biß mir in den Finger.
»Aua!« Ich seufzte. »Was ist denn los, Liebste?«
»Ich fühle mich allmählich ziemlich allein gelassen.« Helena wußte, daß dies nicht der Moment für eine häusliche Auseinandersetzung war. Doch dafür ist es nie der richtige Moment. Besser für sie, hier neben einem Blumenstand in einer engen Straße Cordubas damit herauszuplatzen, als ihren Zorn zu unterdrücken und sich später furchtbar mit mir zu streiten. Besser – aber äußerst ungelegen, während ein Mann, den ich dringend befragen wollte, sich inmitten der Prozession immer weiter fortbewegte.
»Das kann ich verstehen.« Es klang zu glattzüngig.
»Ach, kannst du das?« Ich bemerkte den gleichen stirnrunzelnden und in sich gekehrten Ausdruck, den sie zuvor in der Basilika hatte.
»Wieso nicht? Du hast die Last am Hals, das Kind auszutragen, und das kann ich dir naturgemäß nicht abnehmen. Aber vielleicht habe ich auch Probleme. Vielleicht fühle ich mich mehr und mehr von der Verantwortung erdrückt, derjenige zu sein, der für uns alle sorgen muß …«
»Oh, damit wirst du schon fertig!« meinte sie, eher zu sich selbst. »Und ich werde beiseite geschoben!« Ihr war durchaus klar, daß sie es sich selbst zuzuschreiben hatte, daß sie jetzt hier auf dieser heißen, lärmenden Straße in Baetica stand.
Ich zwang mir ein Grinsen ab und schlug dann einen Kompromiß vor: »Ich brauche dich! Wer sollte mir sonst eine so völlig korrekte Zusammenfassung meiner Aufgabe hier liefern wie du vorhin? Was hältst du davon, wenn wir gemeinsam ins Theater gehen und uns zwei nette Plätzchen suchen?« Wieder griff ich nach ihrer Hand, und wir eilten der Prozession nach. Zum Glück besitze ich Fähigkeiten, die den meisten städtischen Ermittlern abgehen. Ich bin ein Experte im Spurenlesen. Selbst in einer völlig fremden Stadt kann ich ohne weiteres den Weg einer Parilia-Prozession nachvollziehen, indem ich den frischen Dungspuren folge.
Meine Erfahrungen in Baetica hatten mich bereits darauf vorbereitet, daß mir, sobald ich den Priester und die Magistrate eingeholt hatte, ein ebenso übler Gestank entgegenschlagen könnte.
Ich hasse solche Feste. Ich hasse den Krach, den Geruch lauwarmer Pasteten und die Schlangen vor den öffentlichen Latrinen – falls man überhaupt eine findet, die offen hat. Doch es könnte sich als nützliche Studie des Stadtlebens erweisen, am Tag der Parilia in Corduba zu sein.
Während wir durch die Straßen eilten, tummelten sich die Leute fröhlich um uns herum. Sie waren klein und stämmig, ein lebhafter Beweis dafür, warum die spanischen Soldaten die besten des Reiches sind. Auch ihr Wesen schien verträglich. Bekannte grüßten einander in entspannter, freundlicher Art. Frauen wurden nicht belästigt. Männer stritten sich lebhaft, aber unaggressiv um Halteplätze für ihre Wagen. Die Kellner in den Weinschenken waren freundlich. Hunde bellten, verloren aber schnell das Interesse. Das alles wirkte, als sei es jeden Tag so und nicht nur zu Ehren des Feiertages.
Als wir das Theater erreichten, stellten wir fest, daß kein Eintritt bezahlt werden mußte. Die religiösen Riten waren sowieso umsonst, und für die dramatischen Szenen hatten die Dekurionen, die Mitglieder des Stadtrats, gezahlt; sie, die Hundert Männer, nahmen natürlich die besten Plätze ein. Unter ihnen entdeckten wir auch Annaeus Maximus wieder, und aus seinem Sitzplatz ließ sich schließen, daß er ein Duovir war, einer der beiden höchsten Magistrate. Wenn es in Corduba zuging wie überall, dann kontrollierten die Hundert Männer die Stadt – und die Duoviri kontrollierten die Hundert Männer. Für Verschwörer ein äußerst vorteilhafter Ausgangspunkt.
Annaeus war der jüngere der beiden Großgrundbesitzer, die ich in Rom kennengelernt hatte, ein beleibter Spanier mit eckigem Gesicht, etwa fünfzehn bis zwanzig Jahre älter als ich. Leise hustend von den Weihrauchschwaden, mit denen der Pontifex die Opferung des Kalbes und einiger Lämmer vorbereitete, war Annaeus der erste, der nach vorne eilte, um
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