Zwielicht in Cordoba
Camillus-Gut lag im hellen Sonnenlicht, als ich es schließlich erreichte. Wie erwartet hatte Helena ihre Ankündigung bereits wahr gemacht und war zur Besitzung von Licinius Rufius hinüber gefahren, um für mich den nächsten Verdächtigen unter die Lupe zu nehmen. Marmarides, der sich vor den Kopf gestoßen fühlte, erzählte mir ärgerlich, Marius Optatus habe sie gefahren.
Das gab mir Zeit zu baden und meine Tunika zu wechseln. Dann hing ich in der Küche rum, bis die Köchin mir die Art von nahrhaftem Frühstück zubereitet hatte, das gewisse alte Frauen gern einem aufrechten jungen Mann servieren, von dem man weiß, daß er ein in Kürze zur Welt kommendes Baby gezeugt hat, und der dringend der Stärkung bedarf. Während ich mein Essen genoß, säuberte sie die Wunde an meinem Hals mit einer Thymianspülung und trug irgendeine Salbe auf. Es versteht sich von selbst, daß die Salbe hauptsächlich aus Olivenöl bestand.
Als Helena eintraf, wurde ich immer noch umsorgt. Sie packte mich an den Nackenhaaren und sah sich den Schaden an. »Du wirst’s überleben.«
»Danke für deine liebevolle Besorgnis.«
»Wer war das?« Ich zwinkerte ihr zu; sie kapierte. Wir gingen nach draußen in den schattigen Garten hinter dem Haus, wo eine Bank unter einem Feigenbaum stand, der auf einem Mäuerchen wuchs. Dort, in sicherer Entfernung vor neugierigen Ohren, erzählte ich ihr von der Schäferin. Helena zuckte zusammen. »Du glaubst, daß diese Wölfin im Schafspelz die ›Tänzerin aus Hispalis‹ ist?«
Ich wollte nicht sagen, daß ich sie eindeutig erkannt hatte, da das fälschlich den Eindruck erweckt hätte, ich würde mir Frauen zu genau anschauen. »Männer von hinten niederzustrecken scheint eindeutig ihr Markenzeichen zu sein. Aber Anacrites und Valentinus wurden dann gegen eine Wand gerammt. Abgesehen von der Tatsache, daß letzte Nacht keine Wände verfügbar waren, hat sie, falls es Selia war, keinen Versuch gemacht, die Sache zu vollenden.«
»Vielleicht braucht sie ihre beiden Musiker für die Drecksarbeit und hatte sie nicht dabei.«
»Was sollte dann der Stein? Das hatte etwas Zufälliges – war eher wie eine Warnung.«
»Wenn der Stein dich am Kopf getroffen hätte, Marcus, wäre er dann tödlich gewesen?« Um Helenas Gefühle zu schonen, sagte ich nein. Er hätte mit Sicherheit mehr Schaden angerichtet. Aber man muß gut zielen können, wenn man Steine wirft.
»Keine Sorge. Sie hat damit nur erreicht, daß ich in Zukunft noch vorsichtiger bin.«
Helena runzelte die Stirn. »Ich mache mir aber Sorgen.«
Das tat ich auch. Mir war wieder eingefallen, daß Anacrites »gefährliche Frau« gemurmelt hatte, als ich sagte, ich würde nach Baetica gehen. Jetzt war mir klar, daß er nicht Helena gemeint hatte. Er mußte mich vielmehr gewarnt haben – vor seiner Angreiferin.
Um die Atmosphäre aufzulockern,erzählte ich Helena von meinem Gespräch mit Annaeus Maximus. »Mir wurde einiges über seine Haltung klar. Seine Familie befindet sich auf einer politischen Talsohle. Er ist gesellschaftlich angeschlagen durch das, was mit Seneca passiert ist. Unberechtigt oder nicht, die Schande ist haften geblieben. Reichtum mag zwar den alten Glanz der Familie wiederherstellen, aber ihr Mut ist deutlich angeknackst. Maximus ist zweifellos nicht an einer Karriere in Rom interessiert, obwohl er offenbar hier gern den großen Mann spielt. Trotzdem, die Annaei sind die Helden von gestern, und jetzt hängt alles davon ab, ob ihnen die Führungsrolle in Corduba ausreicht.«
»Wird sie das?«
»Sie sind nicht dumm.«
»Was ist mit der jüngeren Generation?« fragte Helena.
»Eine wilde Bande aufgemotzter Großkotze.« Ich beschrieb ihr, was ich von den Söhnen und der schmuckbehängten Tochter zu sehen bekommen hatte.
Helena lächelte. »Über die Tochter kann ich dir etwas erzählen – und dir auch sagen, wo sie übernachtet hat!«
Ich spitzte die Ohren. »Ein Skandal?«
»Nichts dergleichen. Ihr Name ist Aelia Annaea. Sie war im Haus von Licinius Rufius. Trotz der angeblichen Fehde zwischen den beiden Familien sind Aelia Annaea und Claudia Rufina, die Enkelin von Licinius, gute Freundinnen.«
»Wie vernünftig ihr Frauen seid! Also hast du sie beide heute kennengelernt?«
»Claudia Rufina ist noch recht jung. Sie scheint ein aufrichtiges, freundliches Mädchen zu sein. Aelia Annaea hat da schon mehr zu bieten. Das schlimme Mädchen genießt es, ihren Vater zu verärgern. Der wäre nämlich hochempört, wenn er
Weitere Kostenlose Bücher