Zwielicht
Selendis sah toll aus in ihrem Nachthimmel-Gewand und ihrer makellos polierten Rüstung. Rosemary zweifelte nicht daran, dass auch sie selbst in solcher Kleidung umwerfend aussehen würde. Es hatte Zeiten gegeben, da hätte sie sich für ein Treffen in Schale geschmissen. Rosemary war eine Söldnerin, und sie setzte alle Waffen aus ihrem Arsenal ein, inklusive ihres Körpers, wenn es sein musste. Aber sie wusste, dass ein Haufen von Protoss sich aus einem weiblichen Menschenkörper, so attraktiv er terranischen Maßstäben nach auch sein mochte, nichts machen würde. Und letztlich repräsentierte das Leder-Outfit die Essenz der Person, die sie war, viel besser als ein geborgtes und maßgeschneidertes Gewand. Sie war keine Protoss. Sie war eine Menschenfrau mit sehr dubioser Vergangenheit. Das wussten sie ohnehin schon. Sie wussten ohnehin schon alles.
Sie dachte zurück daran, wie sie vor Urzeiten, so schien ihr in Ethans Anwesen in ihr Zimmer gekommen war, bekleidet mit nichts weiter als einem Bademantel, und Jake dort vorgefunden hatte, der auf sie wartete. Jake war überzeugt gewesen, dass Ethan sie hintergehen wollte. Und natürlich hatte er recht gehabt. Damals hatte sie die bequeme und etwas abgetragene Ledermontur einem Sommerkleid vorgezogen. Und so würde sie auch jetzt zugunsten dieser Uniform auf ein erlesenes Protoss-Gewand verzichten. Vieles war passiert zwischen der Entscheidung damals und der heutigen, aber ein paar Dinge hatten sich nicht geändert. Würden sich nie ändern.
Sie wandte sich Selendis zu. „Nein, danke. Ich habe meine eigene Kleidung hier. Sie drückt aus, wer ich bin."
Rosemary fühlte sich im Geist von einem bewundernden Hauch gestreift, zögerlich, aber echt. Sie war in der Achtung von Exekutor Selendis soeben um eine Stufe gestiegen. Eine winzig kleine zwar nur, aber doch eine Stufe.
Während die beiden Protoss gingen, damit sie sich in Ruhe umziehen konnte, befand Rosemary, dass sie jede Leiterstufe brauchen konnte, die sich ihr bot.
Kurz darauf war Rosemary auf dem Weg, gekleidet in das geschmeidige Leder, das ihr passte wie eine zweite Haut, flankiert von zwei hochgewachsenen Templerwachen. Die beiden Protoss überragten sie um mehr als einen halben Meter, und sie trugen Rüstungen, die deutlich machten, dass sie keinen Spaß verstanden.
„Und all das für mich kleines Weiblein", murmelte sie Vartanil zu.
„Schmeichle dir nicht zu sehr, Rosemary", sagte Selendis, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, den Kopf zu wenden. Sie ging ein paar Schritte vor Rosemary. „Das ist die Standard-Etikette für ein Treffen mit der Hierarchie."
„Ja, ja, ist ja schon gut." Sie schritten einen Gang entlang, wobei Rosemary sich beeilen musste, um nicht hinter den langbeinigen Templerwachen zurückzubleiben hoppla, da vergaß sie doch glatt die „Etikette", natürlich handelte es sich um ihre „Eskorte". Dann ging es über eine nach oben führende Schräge auf eine große, ovale Tür zu. Sie öffnete sich wie eine Fotoblende und gab den Blick frei auf eine Art Start- und Landerampe auf dem Dach des Gebäudes, in dem Rosemary gefangen gehalten worden war ach, sie vergaß schon wieder, in dem sie „Gast" gewesen war, musste es natürlich heißen.
Ein kleines Schiff wartete auf sie. Rosemary hob eine Augenbraue. Es musste sich um Technologie der dunklen Templer handeln. Natürlich war es Protoss-Technik nichts, was Menschen erschufen, war so schön; zwar wusste sie nichts über die Baustile der Zerg, aber sie hätte darauf gewettet, dass sie nicht ästhetisch waren -, nur fanden sich hier weder Blau- noch Goldtöne, sondern nur dunkle Farben und ein sanfter grüner Glanz. Vielleicht ließ es das ewige Zwielicht des Planeten dunkler aussehen, als es tatsächlich der Fall war, aber es handelte sich jedenfalls um ein Schiff, das von einem Volk gebaut worden war, das seine Zeit im Schatten zubrachte.
Rosemary hatte selbst viel Zeit in den Schatten verbracht. Sie respektierte das.
Sie stieg ein und nahm Platz, wobei sie die Piloten so gut wie möglich im Auge zu behalten versuchte. Sie wünschte, dies wäre ihr Schiff und dass sie und Jake irgendwohin aufbrechen würden und sie blinzelte. Seit wann tagträumte sie vom Weltraum und einem Schiff, um dort hinauszufliegen, inklusive Professor Jacob Jefferson Ramsey? Der Gedanke war alarmierend.
Rosemary lenkte sich ab, indem sie zum Fenster hinausschaute. In dem Purpurblau unter ihr konnte sie vage Umrisse ausmachen, Spiralen und Türme
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