Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
Bürgersteig in einen herbstlichen Rasen überging. An der Ecke stand ein dunkelhaariger Kerl mit hellen Augen und starrte mit finsterem Blick zu Khan herüber. Vermutlich hatte er beobachtet, wie sie aus dem Nichts erschienen waren.
Sie verspürte den Impuls, den Fremden zu fragen, wie das alles aus seiner Perspektive gewirkt hatte.
Doch Layla spürte Khans Hand unter ihrem Arm und ließ sich von ihm hochhieven. Er erwiderte den Blick des anderen Mannes. »Gehen wir.«
»Was?« Layla ließ sich mitziehen und tippelte neben ihm her. »Ist der auch magisch?«
»Nicht ganz.«
Um Schritt zu halten, musste Layla ihr Tempo verdoppeln. »Ein Geist?«
»Nein«, stieß Khan hervor. »Etwas anderes. Wo wohnst du?«
Vor ihnen bog eine unerhört schöne Blondine in einen Eingang ab und starrte ihnen entgegen. Ihre Intensität brannte. Bevor sie ihr zu nahe kamen, zog Khan Layla auf die Straße in den Verkehr.
»Und sie?« Layla bekam Angst. Überall Magie. Ein Taxi hupte sie an.
Khan antwortete nicht. Als ein süßes Kind mit großen ausdrucksstarken Augen aus der Menschenmenge auf der anderen Straßenseite auftauchte, blieb er mitten auf der Straße stehen. Die Reife in den treuherzigen Augen wirkte durchdringend und unnatürlich. Layla sah die Straße hinauf und entdeckte in dem Strom von durchschnittlichen, ahnungslosen Fußgängern eine vollkommene Person nach der anderen. Ein Auto wich schleudernd aus und fuhr im Bogen um Khan und sie herum.
»Khan?« Laylas Blick zuckte auf die andere Straßenseite. Ein Beobachter hier, ein anderer dort. Oh Gott, langsam drehte sie durch.
»Du musst keine Angst haben«, sagte er.
Richtig. Es geriet ja nur gerade die Welt aus den Fugen.
Hinter ihr ertönte ein Quietschen. Sie drehte sich um und sah, wie ein Wagen versuchte, knapp vor einem Bus einzuscheren. Die Stoßstangen stießen krachend aufeinander, während eine Ampel auf Grün umsprang und der Verkehr auf die Kreuzung strömte. Mit ohrenbetäubendem Lärm prallten einige Wagen zusammen. Plötzlich geriet ein Chevy ins Schleudern und raste auf sie zu.
»Kathleen!«
Die Welt um Layla versank in Dunkelheit, alles wirkte gedämpft. Aus der Ferne drangen alarmierende Schreie an ihr Ohr, und sie hatte das beunruhigende Gefühl, bewegt zu werden. Plötzlich fühlte sich ihr Körper leicht an. Erneut stieg ihr jener exotische Geruch in die Nase. Vollkommen losgelöst von der Welt trieb sie dahin.
Und dann stand sie auf einmal in Khans Armen auf dem Bürgersteig hinter der Unfallstelle. Es fühlte sich so gut, so richtig an, als ob ein Teil von ihr endlich zur Ruhe kam, obwohl ihre Nerven vor Aufregung vibrierten. Langsam orientierte sie sich, griff seinen Arm und stieß atemlos hervor: »Magie?«
Er knurrte bestätigend. Seine feste Umarmung verriet ihr, dass ihn die plötzliche Gefahr offenbar ebenfalls sehr erschreckt hatte.
»Ich dachte, du bräuchtest einen magischen Spiegel, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.«
»Nein«, erwiderte er. »Ich wollte dich nur nicht ängstigen, als du dem Schattenreich zum ersten Mal begegnet bist.«
»Ich finde es immer noch beängstigend.« Sie rang nach Luft und versuchte, ihr Gleichgewicht wiederzugewinnen. In den Unfall waren nicht weniger als fünf Wagen involviert. Das war knapp gewesen. Ohne Khan hätte sie sich ernsthaft verletzt.
Die seltsam perfekten Menschen, die sie zuvor beobachtet hatten, konnte sie nirgends mehr sehen. Die Bürgersteige wirkten nicht so überfüllt, als dass sie in der Menge hätten verschwinden können. Es war, als wären sie nie da gewesen. Sie hätte sie gern aus ihrem Gedächtnis gestrichen, doch Khans fester Griff bestätigt ihr, dass um sie herum Magie herrschte. Sie hatten nun bereits zum zweiten Mal den Ort gewechselt und Layla hatte keineswegs das Gefühl, unter Drogen zu stehen.
Als sie beobachtete, wie die Menschen aus ihren Wagen stiegen, um den Schaden zu begutachten, und sich gegenseitig wild gestikulierend anschrien, schluckte Layla schwer. »Und die Magie?«
»Ja?«
»Die ist überall auf der Welt?«
»Mehr als je zuvor.«
»Und niemand ahnt etwas davon?« Außer mir vielleicht.
»Die meisten ahnen es auf irgendeine Weise.« Er senkte den Kopf zu ihrer Schulter. »Jeder findet es früher oder später auf seine Art heraus.«
»Ich möchte alles wissen. Wirklich alles .« Ihre Aufregung rührte mehr von jener unglaublichen Entdeckung als von der Tatsache, nur knapp einem Unglück entgangen zu sein. Es war ungeheuerlich.
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