Zwielichtlande
überschreiten. Sie hätte in der Nacht der Galavorstellung mit dem Wolf gehen und diesen Albtraum beenden sollen, bevor er richtig angefangen hatte.
Während sie durch den unterirdischen Tunnel rannte, wurde sie von Videokameras verfolgt. Sie hörte jemanden schreien, blieb aber nicht stehen.
Selbst dann nicht, als sie den Wolf an ihrer Seite spürte, der neben ihr herlief.
Natürlich war der Wolf bei ihr und wartete darauf, dass seine Falle zuschnappte. Er musste da sein, wenn sie schon begriff, dass er einen Köder gefunden hatte, mit dem er sie umstimmen und bewegen konnte, sich der Sicherheit ihrer Beschützer zu entziehen.
Sie hatte nicht an den riesigen, codegesicherten Ausgang gedacht und war überrascht, das schwere Metalltor offen vorzufinden. Sie rannte hindurch, als es sich gerade wieder schloss. Der Wolf sprang in einem Schattenschleier hindurch.
Auf der anderen Seite stand Zoe allein in dem weitläufigen Tunnel und wirkte gelangweilt und wichtig. Ungeschminkt und in den gleichen übergroßen Trainingsanzug aus Segue gekleidet wie Annabella, sah sie seltsam aus.
Annabella stolperte und blieb stehen. Der Wolf kauerte knurrend neben ihr, bereit, Zoe den Hals aufzureißen.
Das Mädchen schien sich nicht darum zu scheren. »Da entlang«, sagte sie und machte eine mürrische Geste. »Abigail meint, das wäre die einzige Möglichkeit. Bei allem anderen würden eine Menge Menschen sterben.«
Zoe deutete auf einen nicht weiter bezeichneten Betondurchgang.
»Ist das der Weg nach draußen?«, fragte Annabella, die glaubte, sie befänden sich tief unter der Erde. Der große gelbe Aufzug befand sich auf der anderen Seite von Zoe.
»Ein Lager«, sagte Zoe.
»Abigail will, dass ich in einen Lagerraum gehe? Wieso?«
Zoe zuckte mit den Schultern. »Der Code lautet 852137. Sie hat die ganze Nacht gebraucht, um das herauszufinden, während du unterwegs warst und ein bisschen gevögelt hast. Abigail ist das auch nicht entgangen; die Festnahme-Position hat ihr am besten gefallen. Sie meint, das wäre verdammt heiß, aber die Nummer, bei der Custo dein Bein hochgehoben hat … «
Der Wolf knurrte tief in seiner Brust.
Annabella errötete. Bei der Vorstellung, dass ein Voyeur Custo und sie letzte Nacht beobachtet hatte, wurde ihr übel. Aber wenn Abigail das gesehen hatte …
»Mach schon«, sagte Zoe.
… wusste sie vielleicht auch einen Weg, aus Segue herauszukommen.
Annabella hatte keine Ahnung, wie sie sich den Code gemerkt hatte. Aber das kleine Licht sprang auf Grün, das Schloss klickte. Sie griff den Hebel und drückte. Der Wolf drängte sich an ihr vorbei, und sie folgte ihm in die Dunkelheit.
Die Tür schloss sich mit einem bedrohlichen leisen Klicken, Angst ergriff sie. Sie war mit dem Wolf allein im Dunkeln. Sie spürte sein struppiges Fell an ihrem Körper, seine Schnauze an ihrem Schritt. Sein schnelles Keuchen und ihr ersticktes Atmen erfüllten den Raum. Ein Schrei drängte ihre Kehle hinauf. Sie biss die Zähne zusammen und unterdrückte ihn, kalter Schweiß trat auf ihre Haut.
Licht , schlug ein halbwegs vernünftiger Teil ihres Gehirns vor.
Zitternd tastete sie nach einem Lichtschalter, fand ihn und legte ihn um. Dann sackte sie gegen die kalte Betonwand hinter sich und versuchte sich daran festzuhalten, um ihre schwachen Nerven zu stärken.
Der Wolf wich einen Schritt zurück und musterte sie, dann bellte er. Es war ein unbestimmtes Geräusch, aber sie verstand den Befehl. Tanze!
»Das geht hier nicht. Ich versuche, einen anderen Ausweg zu finden«, erklärte sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Custo hatte ihr erklärt, sie müsse lernen, die Magie zu beherrschen. Aber dazu blieb jetzt keine Zeit mehr.
Das Tier knurrte wütend, während sie sich in dem voll gepackten Raum umsah, der wenig Platz bot. Es gab keinen Ausweg. Es roch metallisch und zugleich staubig alt, aber deutlich besser als in den Geisterzellen. Neben ihr standen hohe Paneele, die mit weißen Laken abgehängt waren und die Kartons und Kisten dahinter verdeckten. Vielleicht gab es dort oben einen Fluchtweg. Andernfalls war sie gefangen. Custo und Adam würden sie jeden Augenblick finden. Und der Wolf angreifen.
Annabella brachte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den knurrenden Wolf und bewegte sich Stück für Stück auf die Kisten zu. Sie erklomm einige davon, sah aber nichts als weitere Kisten, deren Holz nicht sehr stabil wirkte. Wo ging es nach draußen?
Wieder bellte der Wolf. Vor Angst
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