Zwienacht (German Edition)
erwiderte: „Das kenne ich. Es ist nicht leicht, den richtigen Partner zu finden.“
„Und Sie?“, fragte Richard. „Sind Sie in Döbeln geboren?“
Maria zog die Nase kraus. „Im Herbst 1988 wanderte unsere Familie von Portugal in die DDR aus. Nach Dresden. Mein Vater war ein glühender Marxist und hatte die verrückte Idee, dass wir in diesem Paradies für Arbeiter und Bauern aufwachsen sollten. Wir hatten in Portugal dafür schon Deutsch büffeln müssen. Damals war ich sechzehn.“
Richard rechnete blitzschnell aus, dass Maria dann jetzt Mitte Dreißig sein musste.
„Wir bekamen eine Wohnung zugewiesen. Mein Vater erhielt als Vorzeigekommunist aus einem Land des Klassenfeindes eine gute Stelle und ich trat eine Ausbildung als Krankenschwester an.“
Richard schüttelte verwundert den Kopf. „Und wie kamen Sie in der DDR zurecht?“
„Die meisten Leute waren ganz nett. Aber die Vorstellung, nie mehr zurück zu können, hat mich fast verrückt gemacht. Außerdem war das Wetter hier viel schlechter und mir fehlten die Farben. Verstehen Sie das?“
„Klar.“ Richard erinnerte sich an eine Reise nach Erfurt. Knapp ein halbes Jahr nach der Maueröffnung. Jenseits der Vorzeigestraßen war die Stadt grau und verfallen gewesen. Fast so wie das Haus nebenan.
Maria kicherte. „Aber mein Vater war wohl etwas zu spät gekommen, um den Sozialismus in seiner vollen Blüte zu erleben. Sie hätten sein Gesicht sehen müssen, als plötzlich euer Helmut Kohl hier auftauchte und seine Reden von blühenden Landschaften schwang.“
„Aber Sie sind hier geblieben“, stellte Richard fest.
„Ja. Ich machte meine Ausbildung zu Ende und musste mit ansehen, wie immer mehr Ärzte in den Westen rübermachten. Aber ich konnte doch nicht einfach die Patienten im Stich lassen. Vor zwei Jahren fragte mich eine Kollegin, ob ich nicht mit ihr in ihre alte Heimatstadt Döbeln kommen wollte. Sie hatte vor, es dort mit einem Pflegedienst zu versuchen. So kam ich in diese Stadt. Bisher habe ich es nicht bereut. Trotz des knappen Geldes.“ Sie beugte sich über den Tisch nach vorn und teilte ihm mit großen Augen mit: „Die Stadt hat Farbe. Haben Sie das auch schon bemerkt, Richard?“
Er dachte an die bunten Fassaden der Häuser in der Altstadt, bunter als in seiner Heimat, und nickte zustimmend. Er mochte Döbeln.
„Eines ist mir aber noch nicht ganz klar“, bemerkte Maria. „Warum schreiben Sie ausgerechnet über Döbeln?“
„Es geht um ganz Mittelsachsen“, erwiderte er und spürte, wie ihm ganz heiß wurde.
„Aber immerhin haben Sie doch vor, längere Zeit hier zu bleiben, oder?“
Er konnte ihr schlecht verraten, dass er vor Jahren, als er noch Bücher mit knapp vierstelliger Auflage veröffentlichte, durch die Städtepartnerschaft mit Unna zu einer Lesung in Döbeln gekommen war. Der beschauliche Ort, den er damals kennengelernt hatte, war ihm dann später als ideales Exil erschienen.
„Ich habe mir einfach die Gegend angesehen und hier gefiel es mir besonders gut.“ Er hoffte, dass sie nicht bemerkte, wie er um jedes Wort rang. „Vielleicht lag es ja an den Farben.“
„Ja ... die Farben“, sagte sie nachdenklich und schaute hoch zur Küchenuhr. „Ohje! Ich muss los. Frau Ahrens wird sonst ungeduldig.“
Richard stand auf. „Es war sehr nett. Schauen Sie mal wieder vorbei?“
„Ich denke schon.“
Ihr Lächeln ist wunderbar, dachte er und stellte fest, dass er die ganze Zeit gar nicht auf ihren weißen Kittel geachtet hatte, sondern nur auf ihr Gesicht. Er begleitete Maria zur Tür.
„Bis bald“, verabschiedete sie sich. „Würden Sie sich wirklich mal mit Frau Ahrens unterhalten? Das würde ihr sicher gut tun.“
„Gern“, sagte er. Nur um Maria wiederzusehen, würde er sich sogar zum Tee mit dem Teufel persönlich verabreden.
Er verharrte hinter der geschlossenen Wohnungstür und lauschte ihren Schritten auf der Treppe. Von draußen drang ein lauter Schrei. Jammervoll und wütend zugleich. Die Stimme kam ihm bekannt vor. Richard hetzte zum Fenster.
Der Reisende 2
Am nächsten Tag verließ ich entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten die Wohnung bereits um zehn Uhr morgens. Ich ging zum Bahnhof und studierte den Fahrplan.
Wie weit musste ich mich für die Durchführung meiner Aufgabe vom Wohnort entfernen?
Ich wählte eine große Stadt in rund vierzig Kilometer Entfernung aus. Bewusst, denn sie hatte mich vor Jahren enttäuscht, geradezu brutal zurückgewiesen.
Damals hatte mir ein
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