Zwienacht (German Edition)
im Geringsten beeindruckt.
Es war empfindlich kühl im Zimmer. Richard hasste überhitzte Räume, aber heute Nacht war ihm eindeutig zu kalt. Mühsam schwang er die Beine aus dem Bett. Kaum hatte er die ersten Schritte auf dem blanken Parkettboden getan, verstummten die Geräusche in der Wand. Richard hielt inne und lauschte. Von irgendwoher glitt ein Luftzug über seinen Körper und ließ ihn frösteln.
Die Ratten verhielten sich still und Richard bildete sich ein, dass sie ihn beobachteten. Es war sogar mehr als eine Einbildung, er glaubte es spüren zu können. Das Licht der Nachttischlampe reichte aus, um im Bett ein Buch lesen zu können, doch schon nach zwei Metern herrschte ein diffuses Halbdunkel, das in den Ecken schwarze Schatten wachsen ließ.
Richard ließ seinen Blick durch das Zimmer gleiten und suchte die Wände unmittelbar über der Fußbodenleiste ab.
War es möglich, dass sich die Biester schon irgendwo Einlass verschafft hatten?
Er schaltete die Deckenlampe ein. Die Helligkeit ließ ihn blinzeln.
Er drehte die Heizung etwas höher und rutschte auf den Knien an der Wand entlang, hinter der sich das Nachbargebäude befand.
Jetzt war es die Stille, die ihm nervenaufreibend vorkam. Sie ließ vor Richards geistigem Auge Horden widerlicher Ratten mit gelblichen Nagezähnen erscheinen, deren schwarze Knopfaugen jede seiner Bewegungen verfolgten. Hasserfüllt und zugleich amüsiert von seiner Hilflosigkeit.
Risse, fein wie ein Adergeflecht, zogen sich an einer Stelle vom Boden bis auf ein Meter Höhe die Wand hinauf. Richard konnte sich nicht daran erinnern, sie jemals zuvor bemerkt zu haben. Er legte den Zeigefinger auf einen Riss. Keiner der Risse war breiter als ein Millimeter, aber als er sein Gesicht ganz nahe an das Geflecht brachte, glaubte er zu spüren, wie kalte Luft daraus hervordrang. Richard roch Schimmel.
Etwas auf dem Holzboden erregte seine Aufmerksamkeit. Bei näherer Betrachtung stellte er fest, dass es sich um winzige Häufchen uraltem Mörtel handelte, der aus den Rissen rieselte. Er rümpfte die Nase. Er würde, sobald die Geschäfte geöffnet hatten, in die Stadt gehen, um Fugenspachtel zu kaufen.
Es waren nicht die Risse in der Wand, die ihn störten – bei Altbauten kamen solche Dinge nun mal vor – es war die Tatsache, dass es jetzt einen direkten Kontakt zu der Ruine gab. Ein erster Durchlass, der einen Hauch kalter, moderiger Luft aus dem Reich der Ratten und was sich sonst noch alles dort verbarg, in seine Wohnung hineinwehte.
Angewidert stand er auf. Er wollte den Rest der Nacht in der Küche verbringen. Sie grenzte zwar ebenfalls direkt an das alte Nachbargebäude, aber trotzdem waren die Ratten dort nie zu hören. Er schaltete das Radio aus und schnitt der Nachrichtensprecherin mitten im Wetterbericht die Stimme ab. Die nächsten Tage versprach es kalt zu werden. Er zog sich einen Bademantel über.
Richard holte den metallenen Kerzenständer, den er seit seiner Jugend besaß, aus dem Wohnzimmer und stellte ihn auf den Küchentisch. Als er die drei Kerzen angezündet hatte, schaltete er die Küchenlampe aus. Er setzte sich auf seinen Stammplatz und blickte in die flackernden Flammen. Vom Flur drang ein schwacher Lichtschein. Er hatte vergessen im Schlafzimmer die Deckenlampe auszuschalten. Es war ihm egal. Er war so unendlich müde, wollte nur noch die abbrennenden Dochte mit dem blaugelben Lodern, das sie umgab, beobachten. In der leisen Hoffnung, dass ihm dabei die Augen zufielen.
Es ist so still, dachte er. Ich werde auch in der Küche ein Radio brauchen.
Sein Kopf wurde ganz schwer und als er ihn hin und her bewegte, spürte er, wie verspannt sein Nacken war.
Es ist nicht die Stille, die dich stört, mahnte eine innere Stimme. Es ist die Einsamkeit.
Viertel nach drei zeigte die Uhr an der Wand. Das Licht der Kerzen hauchte den Schatten Leben ein und ließ sie zucken und tanzen.
Richard hob den Kopf ganz langsam von der Tischplatte und hörte die Sehnen in seinem Hals knacken.
Halb vier.
Die violetten Kerzen waren kaum sichtbar abgebrannt. An ihren Rändern sickerte flüssiger Wachs herab.
Irgendetwas hatte sich verändert. Richard knetete seinen Nacken und versuchte herauszufinden, was es war.
Er war nicht mehr allein. Ganz leise hörte er eine Stimme. Zu leise, um zu verstehen, was sie sagte. Er schob den Stuhl geräuschlos zur Seite und schlich zum Messerblock neben der Spüle. Gerade, als seine Hand den Griff einer besonders scharfen Klinge
Weitere Kostenlose Bücher