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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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ein dunkler Volvo-Kombi. An den Türen pappten Magnetschilder. Richard kannte diese Schilder. Ehe sich für ihn das Romanschreiben halbwegs gelohnt hatte, arbeitete er nebenbei für einen Botendienst. Er musste damals für die Fahrten durchs Ruhrgebiet sein eigenes Auto benutzen und erhielt deshalb diese magnetischen Schilder mit dem Firmennamen für die Wagentüren, die sich nach Feierabend ganz einfach wieder entfernen ließen.
    Der Aufschrift zufolge gehörte der Volvo einer Schädlingsbekämpfungsfirma. Ein großer Mann in einem grünen Overall stieg aus. Er öffnete die Heckklappe und machte sich im Inneren des Wagens zu schaffen. Richard überquerte die Straße und grüßte freundlich: „Guten Morgen.“
    Richard hörte, wie etwas Schweres über die Ladefläche gezogen wurde, dann wandte sich der Mann zu ihm um.
    „Morgen.“ Obwohl er sich wohl gleich mit ekligen Schädlingen herumschlagen musste, schien der Mann bester Laune zu sein. Er grinste über beide Ohren. Er war braungebrannt, hatte ein Netz von Falten um die Augen und schien zu jener Sorte zu gehören, die immer wusste, was zu tun war. Auf dem Kopf trug er eine Schirmkappe in der Farbe seines Overalls.
    „Ich nehme an, Sie kommen wegen der Ratten“, vermutete Richard und lächelte zurück.
    „Genau!“ Der Mann klopfte auf einen Metallkoffer, der jetzt ein Stück aus dem Wageninneren herausragte. „Ich lege in der Bruchbude Köder aus. Die werden den Biestern den Garaus machen.“ Er senkte die Stimme. „Da hat sich irgendeiner aus dieser Straße bei der Stadt beschwert. Hat richtig Dampf gemacht. Waren Sie das?“
    Richard schüttelte den Kopf. Es konnte sich dabei um seinen Nachbarn Münzberg handeln. „Nein. Aber die Ratten sind schon eine echte Plage. Ich bin froh, dass Sie sich darum kümmern.“ Er war froh, dass er es nicht gewesen war, der sich beschwert hatte. Typen wie dieser Kammerjäger machten ihm ein bisschen Angst. Sie waren immer überaus kräftig, arbeiteten am Bau oder auf der Autobahn, entblößten sich beim ersten Sonnenstrahl ungeachtet ihres Bierbauchs und blickten einen immer an, als ob sie die Herren der Welt wären.
    Der Mann hatte währenddessen schwarze Lederhandschuhe übergezogen und klopfte gegen den Koffer. „Dafür bin ich da.“ Er nahm den Koffer, sagte „Los geht`s!“ und schritt pfeifend auf das Haus zu, als ginge es zu einem Picknick und nicht in ein Gemäuer, das so aussah, als sei es das Hauptquartier allen Ungeziefers der Stadt.
    Richard stieg in seinen Golf und erst nach einigen hundert Metern entdeckte er in der oberen Ecke der Frontscheibe einen fingerlangen Riss, der bei seiner letzten Fahrt vor ein paar Tagen noch nicht dagewesen war.

Wahnvorstellungen

    Dr. Busch führte ihn dieses Mal nicht in den hellen Raum mit den Sitzgruppen und dem Glastisch, sondern in ein winziges Behandlungszimmer mit einem schmalen Fenster aus Milchglas, durch das sich Döbeln als verwaschene Schemen abzeichnete. Es gab nur eine Liege mit schwarzem Kunstlederbezug, einen Drehstuhl und ein elektronisches Gerät mit zahllosen Kabeln.
    Dr. Busch wies Richard an, sich auf die Liege zu setzen. Die Liege war so hoch, dass Richards Füße nicht den Boden berühren konnten. Das irritierte ihn ein wenig.
    Busch setzte sich auf den Stuhl und legte die Hände im Schoß zusammen. Er hatte sein schwarzes Haar heute mit viel Gel in Form gebracht und streng nach hinten gekämmt. Busch trug wie beim ersten Treffen ein hellblaues Hemd. Richard entdeckte einen weißen Fleck unterhalb des Kragens. Außerdem baumelte der unterste Hemdknopf nur noch an einem Faden.
    „Sie wollten, dass wir unseren Termin vorverlegen.“ Busch räusperte sich. „Was hat Sie dazu veranlasst, Herr Gerling?“
    Für Richard hatte es sich so angehört, als hätte der Psychiater seinen Namen etwas eigenartig betont.
    „Die Schlaflosigkeit wird schlimmer“, begann Richard. „Und manchmal verliere ich bei einfachsten Dingen den Überblick.“ Er berichtete von der letzten Nacht und bemerkte während des Redens, wie er Silben verschluckte und Wortfindungsstörungen hatte. Er begann zu schwitzen und war davon überzeugt, ein erbärmliches Bild abzugeben.
    Dr. Busch sah ihn eine Weile schweigend an und das Gefühl des Unwohlseins wurde noch größer.
    „Ich habe mich gleich nach Ihrem ersten Besuch über die Spätfolgen von Blitzschlag informiert“, begann Busch endlich. „In der Tat können manche Beeinträchtigungen erst nach Tagen oder gar Monaten

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