Zwienacht (German Edition)
ignorierte ihn und versuchte an Münzberg heranzukommen. Der stieß ihn mit dem Besen weg – eine Geste, die nicht Aggression, sondern einfach Furcht ausdrückte – , und Krüger stolperte rückwärts gegen Richard. Richard streckte reflexartig die Arme aus, um zu verhindern, dass der Mann hinfiel.
„Lass das!“, zischte Krüger, entwand sich Richards Griff und stieß mit dem Rücken gegen das Regal mit dem Telefon. Das Telefon kippte aus der Ladestation und krachte auf den Boden.
„Ihr glaubt wohl, ihr könnt mich herumschubsen!“, krächzte Krüger. Er griff hinter sich und hielt plötzlich eine kurze, spitz zulaufende Klinge in der rechten Hand.
„Tun Sie das Ding weg!“, stieß Richard hervor und starrte auf das Stilett. Das Ding würde seine Haut durchstoßen, als sei er aus Butter.
„Ich habe den Kater nicht getötet!“ Krüger schwang die Klinge in einem Halbkreis durch die Luft.
„Schon gut!“ Richard wich zurück. „Wir glauben Ihnen ja.“
Münzberg ließ den Besen mit voller Wucht auf Krügers Unterarm prallen. Der Rentner schrie auf und ließ das Stilett aus den tauben Fingern fallen. Richard beförderte die Klinge mit einem Fußtritt quer durch den Flur.
„Ich möchte, dass Sie jetzt abhauen, Krüger“, sagte Richard. Er wunderte sich selbst über seine laute und feste Stimme.
„Ich schwöre Ihnen, dass der Brief nicht von mir ist!“, beteuerte Münzberg. Er hielt den Besen jetzt gesenkt und schwitzte so stark, dass es beinahe so aussah, als wäre er gerade dabei sich aufzulösen.
Einen Augenblick schien es, als würde der alte Mann versuchen, in einer Art Kamikaze-Angriff über sie beide herzufallen, aber dann gewann Resignation die Oberhand. „Ich werde gehen“, sagte er atemlos und hielt sich dabei den Arm. „Aber das wird noch Konsequenzen haben.“
„Gehen Sie einfach.“ Richard trat zur Seite und machte den Weg zum Hausflur frei.
Im Flur drehte sich Krüger noch einmal mit hochrotem Kopf um und grinste. „Wer von euch beiden ist denn die Frau?“
Richard knallte die Tür zu, legte die Sicherheitskette vor und horchte. Krüger harrte noch ein paar Sekunden im Flur aus, dann ging er mit langsamen Schritten, so, als überlegte er, ob es nicht doch besser wäre, noch mal umzukehren, die Treppe hinab.
Münzberg lehnte mit zitternden Händen den Besen gegen die Wand.
Richard schüttelte ratlos den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich glauben soll.“
„Ganz ehrlich!“ Münzberg hielt ihm die Handflächen entgegen und sah aus, als wollte er jeden Moment anfangen zu weinen. „Ich habe den Brief nicht geschrieben.“
„Sie sind stinksauer auf ihn und haben sogar eine Videokamera auf seine Wohnung gerichtet“, erwiderte Richard. „Vor ein paar Tagen wollten Sie den Alten auf der Straße zusammenschlagen. Schon vergessen?“
„Aber ich ...“, setzte Münzberg an.
Richard brachte ihn mit einer schroffen Handbewegung zum Schweigen. „Und Sie haben im Zusammenhang mit Krüger auch irgendwas mit Kindern erwähnt.“
„Doch nur, dass er sie ständig verjagt!“ Der korpulente Mann sah jetzt so verzweifelt aus, dass Richard beinahe versucht war, ihm zu glauben.
„Ich möchte, dass Sie jetzt auch gehen.“ Richard löste die Kette, öffnete die Tür einen Spalt breit, um sich zu vergewissern, dass sich Krüger nicht lautlos zurückgeschlichen hatte. „Bitte!“, drängte er.
Jan Münzberg schniefte, wischte sich die Nase und setzte sich mit gesenktem Kopf in Bewegung. Als er kurz vor seiner Wohnungstür war, sagte Richard: „Danke für Ihre Hilfe.“
Richard tauschte den Kimono gegen Hemd und Jeans aus und machte sich daran, den Rest der Wohnung – das Bad und den Raum, den er nur als Abstellplatz für die noch nicht ausgepackten Relikte seines Lebens in Unna – nutzte, zu durchsuchen.
Die Ratte blieb verschwunden und Richard versuchte sich einzureden, dass sie vermutlich auf demselben Wege die Wohnung verlassen hatte, wie sie hereingekommen war: Sie musste unbemerkt durch die geöffnete Wohnungstür geschlüpft sein. Gelegenheiten dazu hatte es genügend gegeben.
Er setzte sich an den Schreibtisch im Schlafzimmer und blickte zu Krügers Wohnung hinüber. Von dem alten Mann war nichts zu sehen. Er konnte Krügers Aufregung bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Es gab keinen Beweis, dass er den Kater seines Nachbarn getötet hatte und mit dem Brief war Münzberg eindeutig zu weit gegangen. Andererseits hatte sich Krüger mit einem Stilett bewaffnet, ehe
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