Zwilling verzweifelt gesucht
hinunter. Er hat aber gar keine Lust mitzukommen. Vermutlich rechnet er sich aus, dass irgendwo in Frau Rabuschs Haus noch größere Mortadella-Vorräte verborgen sind.
„ Er will hierbleiben “ , stellt Frau Rabusch zufrieden fest. „ Na, das kann ich verstehen. “
„ Auf Wiedersehen “ , antworte ich nur.
Kaum stehen wir auf der Straße, vergisst Moppel Mortadella und Frau Rabusch und findet neue Attraktionen – einen zertretenen Regenwurm und ein gelbbraunes Häufchen, über das ich nicht näher nachdenken möchte. Dann hebt er den Kopf und galoppiert mir voraus auf unser Haus zu. Ich atme auf. Nun kann ich endlich wieder in Ruhe an meine Schwester denken. Und daran, dass ich Geld für die Eisdiele brauche. Eigentlich habe ich mein Taschengeld schon ausgegeben, aber in irgendwelchen Jacken- und Hosentaschen findet sich vielleicht noch etwas. Notfalls leihe ich mir ein paar Euro von Jule, die sehr sparsam ist. Sie leiht mir immer Geld, wenn ich ihr dann ein bisschen mehr zurückgebe, als sie mir ausgeliehen hat. Papa meint, sie ist die Einzige in unserer Familie, die perfekt ins 21. Jahrhundert passt.
Als Einzelkind hat Alisia natürlich immer Geld für die Eisdiele. Sie steht auf Erdbeer-Mixmilch, ich mehr auf Banane. Wir sind geübt darin, uns beim Trinken sehr, sehr viel Zeit zu lassen, und der Eisdielen-Besitzer ist geübt darin, uns mahnende Blicke zuzuwerfen. Aber heute ist überhaupt nichts los, nur ein weiterer Tisch ist besetzt, sodass wir uns entspannen können.
„ Es wäre natürlich Zufall, wenn sie gerade heute hierher käme “ , sagt Alisia. „ Vielleicht schaffst du es, sie per Gedankenübertragung hierher zu befehlen. Das geht bei eineiigen Zwillingen. “
Ich runzle die Stirn. Ist neuerdings Alisia die Zwillingsexpertin? Aber ich kann es ja mal probieren. Ich denke also ganz intensiv an meine Schwester, soweit man an jemanden denken kann, den man noch nie gesehen hat. Alisia kneift die Augen zusammen und beobachtet eine Fliege, die mit dem vordersten Beinpaar ein aufgerissenes Zuckerpäckchen abtastet.
„ Wir haben aber keinen anderen Anhaltspunkt “ , seufze ich, als mir schon der Kopf wehtut vom vielen An-meine-Schwester-denken. „ Wenn wir überhaupt eine Chance haben, dann hier. Immerhin scheint die Sonne. Perfektes Wetter für ein Eis. “
„ Trotzdem, hier ist nichts los. “
Ich sauge an meinem dicken Strohhalm und versuche dabei so wenige Geräusche wie möglich zu machen.
„ Es kann ja sein “ , fängt Alisia dann wieder an. „ Dass noch jemand anders anruft. Jemand, der einen anderen Tipp hat. Vielleicht … “ Sie verstummt. Am Eingang herrscht plötzlich Gedrängel. Gut ein halbes Dutzend Jungs und Mädchen stürmen die Eisdiele, alle werfen ihre Rucksäcke auf irgendwelche Stühle, diskutieren laut über ihre Lieblingseissorten. Alisia und ich sehen genau hin, aber keines der Mädchen hat auch nur entfernte Ähnlichkeit mit mir. Enttäuscht wenden wir uns wieder unseren Mixmilch-Bechern zu.
„ Eigentlich ist das sinnlos “ , stelle ich fest.
„ Du brauchst Geduld “ , erklärt Alisia. „ Ohne Geduld hat noch nie ein Detektiv einen Verbrecher gefangen. “
„ Meine Schwester ist aber kein Verbrecher “ , wende ich ein.
„ Du weißt schon. “
Ich seufze. Mir ist langweilig, ich will nicht den ganzen Nachmittag in der Eisdiele verbringen. Draußen scheint die Sonne. Ich möchte eine Runde Fahrrad fahren, später im Garten herumliegen, und ich bin neugierig, ob Rasmus jetzt schon stehen kann, ohne umzufallen.
„ Rasmus hat heute zum ersten Mal allein gestanden “ , berichte ich.
„ Ja? “ Alisia hört gar nicht zu. Sie starrt auf den Eingang der Eisdiele, dann auf ihre Uhr. „ Mir ist langweilig. “
Wie war das noch mit der Geduld der Detektive?
Alisia springt auf. Sie geht zum Tresen, fummelt ihr Portemonnaie aus der Tasche … hat sie vergessen, dass wir schon bezahlt haben? Nein … sie zieht ein Foto heraus. DAS Foto.
„ Entschuldigung “ , sagt sie zu unserem Eisdielenbesitzer. „ Kennen Sie dieses Mädchen vielleicht? War sie schon mal hier? “
Der Eisdielenbesitzer – ob er wohl selbst „ Marinello “ heißt? Ist das überhaupt ein richtiger Vorname? – Er starrt zuerst das Bild an, dann Alisia, dann wieder das Bild, dann mich. Ganz lange.
„ Was soll das denn? “ , fragt er mit drohender Miene. „ Ihr wollt mich verscheißern, oder? “
„ Nein! “ Alisias Miene drückt ehrliche Überraschung aus. „ Wir suchen
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