Zwilling verzweifelt gesucht
er im Inneren des Hauses verschwunden.
Ich wende mich um. Moppel steht am Gartentor, reckt die Nase, er wedelt mit dem Schwanz und sieht sich bittend um.
„ Was willst du denn? “ , frage ich. „ Schon wieder spazieren gehen? Später, ja? Ich drehe dann noch eine Runde mit euch. “
Moppel setzt sich einfach hin. Er wedelt nicht mehr mit dem Schwanz, sieht mich nur noch an.
„ Jetzt nicht, kapiert? “ , wiederhole ich ungeduldig. „ Komm rein. “
Moppel kommt nicht. Er bleibt am Gartentörchen sitzen. Ich zucke mit den Schultern und schließe die Haustür hinter mir.
Gut, dass ich ein eigenes Zimmer habe – ich muss in letzter Zeit ganz schön viel nachdenken! Wenn eine Zwillingsschwester ständig in meiner Nähe rumhängen würde und womöglich irgendetwas plappern oder Musik hören oder komisch riechen würde, dann wäre das ganz schön anstrengend. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie Finn und Fabian und Jule und Jana das aushalten. Vielleicht muss man das von Geburt an trainieren? Es ist sicher ein ganz großer Unterschied, ob man schon immer zu zweit ist oder erst mal in Ruhe alleine groß wird.
Vielleicht … vielleicht war es doch nicht eine ganz so gute Idee, meine Zwillingsschwester zu suchen? Hätte ich nicht besser alles so lassen sollen, wie es war?
Nur gut, dass Alisia nicht ahnen kann, was in mir vorgeht – was für eine Idee sich da plötzlich in mir breit macht: dass ich nämlich diesen dämlichen kleinen Zettel mit Maras Telefonnummer einfach ins Klo spülen und die ganze Sache vergessen könnte. Ich müsste Alisia leider belügen. Ihr einfach erzählen, dass ich den Zettel verloren habe. Hm, wenn ich sage, er ist ins Klo gefallen – das wäre immerhin nur eine halbe Lüge … Aber Mara wird wieder anrufen. Wenn sie wirklich meine Schwester ist, dann wird sie so lange anrufen, bis ich mich melde.
Ich sehe aus dem Fenster. Moppel sitzt immer noch vor dem Gartentor. Jetzt steht er auf und trabt langsam, beinahe nachdenklich am Zaun entlang. Er hält an, schnuppert, gräbt ein bisschen, verschwindet zwischen den Sträuchern. Im nächsten Moment sehe ich ihn draußen auf dem Bürgersteig an unserem Eingang vorbeilaufen und die Straße hinunter verschwinden.
Ich reiße das Fenster auf, schreie laut: „ Moppel! Bleib hier! “ , aber er scheint mich nicht zu hören.
Moppel ist nicht weit gelaufen. Er sitzt ganz brav vor Frau Rabuschs Haustür, wendet sich mir kurz zu und kläfft aufmunternd. Um Frau Rabuschs Grundstück verläuft ein ordentlicher Zaun, garantiert ohne Löcher – also anders als bei uns –, aber er ist nicht hoch, und Moppel kann erstaunlich gut springen.
Ich schiebe den Riegel des Gartentors zurück, während ich Moppel von Weitem eine Standpauke halte. Wenn ich Glück habe, sitzt Frau Rabusch vor dem Fernseher – bringen die früh abends nicht immer kitschige TV-Serien, die alleinstehende alte Frauen besonders gerne ansehen? – und hat Moppel nicht bemerkt.
Ich strecke gerade die Hand nach seinem Halsband aus, da öffnet sich die Wohnungstür. Moppel springt begeistert an Frau Rabusch hoch. Ihre Miene ist starr, sie schweigt. Keine Ahnung, ob sie gleich loszetern wird.
„ Entschuldigung “ , stottere ich. „ Moppel ist schon wieder … ich weiß auch nicht … er wollte unbedingt … “
„ Er wollte mich eben besuchen “ , stellt Frau Rabusch sehr würdevoll fest. Sie lächelt immer noch nicht, aber sie legt Moppel, der nun auf den Hinterbeinen steht und sich mit den Vorderpfoten auf ihrem Schenkel abstützt, die Hand auf den Kopf. „ Er weiß eben, dass ich so viel allein bin. “
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Dass meine Brüder gerade eine Leute-Suchmaschine entwickeln, mit deren Hilfe wir vielleicht ihren Sohn oder ihre Brüder ausfindig machen können? Soll ich sagen, dass sie bis dahin doch uns mal besuchen soll? Hm, ich hatte bis heute noch nie den Eindruck, dass sie gerne unser Grundstück betreten würde – von unserem Haus ganz zu schweigen.
„ Kann er denn eine Weile hier bleiben? “
Frau Rabusch sieht mich jetzt beinahe bittend an und wirkt dadurch auf einmal viel jünger. Man kann sich wunderbar vorstellen, dass sie sich als kleines Mädchen vor ihren sechs Wolfsbrüdern gefürchtet hat.
„ Ich würde ihn zurückbringen. Vielleicht in einer Stunde. “
„ In Ordnung. “ Ich zucke mit den Achseln. Ihre Bitte kommt etwas überraschend, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Familie etwas dagegen hat, einen Hund
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