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Zwilling verzweifelt gesucht

Zwilling verzweifelt gesucht

Titel: Zwilling verzweifelt gesucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Obrecht
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Ja. Na ja. Zwei davon sind älter als ich. Die haben sich von mir sowieso nichts sagen lassen. “
    „ Aber Sie mussten doch auch zur Schule gehen “ , wende ich ein.
    „ Ja, schon. Aber danach musste ich mich um die Jungs kümmern. Ich war nie gut in der Schule. Ich hatte einfach keine Zeit zum Lernen. “
    Sie seufzt, aber sie fragt immer noch nicht, wie es bei mir in der Schule läuft.
    „ Es war halt damals so “ , sagt sie noch.
    Dann schweigen wir wieder. Erneut rumpelt der Donner, aber schon weiter entfernt. Der Fernseher flackert kurz auf, wird dann aber wieder dunkel. Unsere Sendung dauert eine halbe Stunde. Die Hälfte ist schon vorbei.
    „ Hatten Sie selbst denn Zeit für Ihren Sohn? “ , frage ich plötzlich.
    Es ist vielleicht die unhöflichste Frage, die einem in so einem Moment einfallen kann, aber ich möchte einfach mehr über diesen Sohn wissen.
    „ Ja “ , sagt Frau Rabusch zögernd. „ Schon. Na ja, auch nicht immer … “
    Sie zögert. Dann steht sie auf und öffnet eine Tür ihrer Kommode. Dahinter steht ein gerahmtes Foto. Frau Rabusch nimmt es heraus, stellt sich neben mich und hält mir das Bild hin.
    „ Das ist er. “
    Auf dem Foto ist ein junger Mann zu sehen, eigentlich ein Jugendlicher in einem weinroten Sweatshirt und mit Pickeln im Gesicht. Er grinst verkrampft in die Kamera wie jeder, der sich nicht gerne fotografieren lässt.
    „ Jochen “ , sagt Frau Rabusch. Dann wendet sie sich ruckartig um und verstaut das Bild wieder im Schrank.
    „ Haben Sie beide sich gestritten? “ , will ich wissen. „ Ich streite mich ziemlich oft mit meinen Eltern. “
    Frau Rabusch starrt die Schranktür an, die sie wieder geschlossen hat.
    „ Ich weiß es nicht “ , sagt sie. „ ich weiß eigentlich überhaupt nicht, was passiert ist. Jedenfalls weiß ich nicht, wo er steckt. Er meldet sich einfach nicht. “
    Sie räuspert sich und macht ein paar Schritte auf den Fernseher zu.
    „ Das wird wohl nichts mehr “ , sagt sie.
    „ Ist nicht so wichtig. “
    Und das meine ich. Ich bin sogar ein bisschen froh, dass mir die Fernsehsendung erspart bleibt. Es kann sein, dass sie ganz furchtbar peinlich ist. Wenn ich Glück habe, hat der Stromausfall die ganze Stadt betroffen und keiner in meiner Schule konnte die Sendung sehen.
    „ Ich wollte nie viele Kinder “ , sagt Frau Rabusch wieder, ohne mich anzusehen. „ Ich wollte nicht, dass es ihnen so geht wie mir früher. Ich wollte immer Zeit für mein Kind haben. “
    „ Vielleicht ist Ihr Sohn zur See gefahren “ , schlage ich vor. Ich gebe zu: Ich sehe gerne Abenteuerfilme, auch die aus früheren Zeiten, in denen Segelschiffe in Seenot geraten und aufmüpfige Matrosen ausgepeitscht werden und so etwas.
    Frau Rabusch schüttelt den Kopf.
    „ Jochen ist wasserscheu. Er hat sich als Kind noch nicht einmal gewaschen. Na ja, fast nie. “ Sie seufzt. „ Er hat halt einfach keine Zeit “ , sagt sie. „ Er muss viel arbeiten. Er hat einen wichtigen Posten, einen hohen Posten. “
    „ Was macht er denn? “
    Ist Frau Rabusch womöglich die Mutter unseres Bundespräsidenten? Nein, der ist ja viel zu alt.
    „ Er arbeitet für eine große Firma. “
    Langweilig.
    „ Wo wohnt er? “
    „ Ich weiß es nicht. Er hat ein paar Mal gewechselt. “
    Frau Rabusch geht jetzt mit entschlossenen Schritten zurück zu ihrem Mega-Fernseher. Ich rechne fast damit, dass sie dagegen tritt, aber sie legt nur vorsichtig die flache Hand auf den Bildschirm.
    „ Früher hat das geknistert “ , sagt sie. „ Das hat so ein komisches Gefühl in der Hand gemacht. Kennst du das? “
    „ Nein. “
    In diesem Moment flackert der Bildschirm wieder. Ein buntes Mosaik baut sich auf. Frau Rabusch macht einen Schritt rückwärts.
    „ Er kommt wieder. “
    Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Unsere Sendung ist fast vorbei. Ich würde mich auch viel lieber über den verschollenen Jochen unterhalten, aber Frau Rabusch hat das Thema offenbar abgehakt . Sie greift in das Päckchen mit den Salzstangen und holt eine einzelne heraus, die sie sich zur Hälfte in den Mund steckt.
    Und da ist sie, meine Familie: Meine Mutter und mein Vater wirken so verspannt, dass man ihre Gesichter kaum wiedererkennt. Jana und Jule rennen andauernd auf die Kamera zu und schreien aus so kurzer Entfernung ins Mikrofon, dass es nur noch scheppert und kracht. Im Hintergrund hört man Babys brüllen. Aus dem Krawallator klingt: „ Die blonde Maid vom Hopfensee “ .
    Die Kamera folgt jetzt Finn

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