Zwillingsbrut
Eine knorrige Kiefer mit einem dicken Stamm und mehreren zackig hervorstehenden, abgebrochenen Ästen ein Stück weiter vorn zog seinen Blick auf sich.
Perfekt!
Als sie um eine Kurve bog, schloss er zu ihr auf und glitt neben ihr her.
Sie zuckte zusammen, als sie ihn aus dem Augenwinkel bemerkte. Vor ihr tauchte der Baum mit den abgebrochenen Ästen auf. Sie wandte den Kopf, die Augen weit aufgerissen vor Furcht, den Mund zu einem Schrei verzogen, als er sie packte und mit voller Wucht auf die knorrige Kiefer zustieß.
Jetzt dachte er an das Entsetzen auf ihrem Gesicht, an das unangenehme Geräusch ihres gegen den Stamm prallenden Körpers und das dumpfe Knacken ihres Genicks, als ihr Kopf gegen einen der Aststümpfe schlug, und musste erneut grinsen.
Wieder eine »Unwissende« weniger auf Gottes Erdboden.
Und nun, dachte er, würde er sich um die eine kümmern, die er schon vor Jahren hätte erledigen sollen. Seine Narbe pochte. Die Scheibenwischer drückten den Schnee beiseite, aus dem Autoradio tönte irgendein hirnverbranntes Weihnachtslied.
»Drei heilige Könige, dass ich nicht lache!«, murmelte er und verspürte prickelnde Vorfreude bei dem Gedanken an das Bevorstehende.
Acacia.
Mein Gott, wie gern würde er sie vögeln! Nur um ihr zu zeigen, was er anstellen konnte … Doch er würde sich damit begnügen müssen, sie umzubringen. Zu beobachten, wie sie vor Erstaunen die Augen aufriss, wenn sie ihn erkannte, wie sich ihre Pupillen vor Entsetzen weiteten, wenn sie begriff, dass er sie töten würde.
Er spürte, wie sein Schwanz zuckte und steif wurde. Stöhnend stieß er die Luft aus, die er angehalten hatte, und lockerte seinen Griff ums Lenkrad. Er musste außer Sichtweite parken und mit Schneeschuhen weiterlaufen, was perfekt war, weil der starke Schneefall eine hervorragende Deckung bot und zudem seine Spuren verwischte.
Lächelnd fuhr er in die Vorberge hinein.
Er kannte genau die richtige Stelle.
»Das war’s also?«, fragte Alvarez während der Fahrt ins Freisprechgerät ihres Handys hinein. »Schwarze Farbe, die man überall kaufen kann?«
»Ja, tut mir leid«, sagte Mikhail Slatkin vom kriminaltechnischen Labor ohne einen Anflug von Bedauern in der Stimme. »So ist es nun mal. Und es ist … Premium mattschwarz Nummer 308 . Gibt’s seit fast fünfzehn Jahren.«
Sie sprachen über die Farbspuren an Elle Alexanders Minivan, doch es hatte sich herausgestellt, dass die Farbe nicht zu einem bestimmten Fahrzeugmodell gehörte, sie stammte aus einer Sprühdose, wie man sie landesweit kaufen und einfach für alles verwenden konnte: zum Lackieren von Gartenmöbeln über Modellautos bis hin zu Grills.
»Großartig.«
»He, ich hab dir lediglich mitgeteilt, was ich gefunden habe!«
»Ich weiß. Danke, Mikhail.« Sie legte auf und überlegte, wie viele Läden allein in Grizzly Falls binnen der letzten fünfzehn Jahre diesen Artikel verkauft haben mochten. Würden sie tatsächlich das Glück haben, jemanden zu finden, der das Zeug in letzter Zeit gekauft hatte? Hier, in Grizzly Falls, oder in Spokane oder Boise oder Missoula oder Gott weiß wo?
Zumindest hatte Mikhails Assistentin sie über das Gift im Kaffeepulver informiert.
Alvarez war allein unterwegs. Pescoli hatte einen Anruf von Jeremy bekommen, gerade als sie aufbrechen wollten. Er hatte ihr mitgeteilt, dass Chris Schultz bei ihnen war, also war sie wieder nach Hause gefahren. Alvarez hatte ihr geraten, sich keine Sorgen zu machen, aber Pescoli hatte klargestellt, dass sie sich darum kümmern und anschließend so rasch wie möglich wieder aufkreuzen würde. Es hatte den Anschein, als sei sie halb genervt, halb froh darüber, dass Jeremy beschlossen hatte, den Freund seiner Schwester zu verpfeifen – es wirkte fast wie ein Zeichen von Reife.
Detective Alvarez bog in die lange Zufahrt zu Acacia Lamberts Haus ein und folgte einer frischen Reifenspur. Zu ihrer Überraschung wartete Trace O’Halleran dort auf sie. Sie parkte ihren Wagen neben seinem Pick-up. Die Kriminaltechniker waren bereits vor Ort, ihr Van stand neben der Garage. Rudy, einer der Jungs aus dem Team, stand davor, rauchte eine Zigarette und unterhielt sich mit Trace. Rudys Partnerin Eileen wärmte sich bei laufendem Motor im Wagen.
Alvarez betrachtete Trace. Er war nicht der Killer, das hatte die Überprüfung seiner Alibis einwandfrei ergeben. Dennoch steckte er bis über beide Ohren in der Sache mit drin – nur wie, das wusste sie nicht.
Noch nicht.
Was
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