Zwillingsbrut
Zorn. »Und das ist noch nicht alles: Sie versuchen, ihm auch andere Unfälle unterzuschieben, die, bei denen diese Frauen ums Leben gekommen sind! Als wäre er zu so etwas fähig … Das ist einfach unglaublich!« Noreen fing wieder an, im Zimmer auf und ab zu gehen, wobei sie langsam, aber sicher hysterisch wurde. »Aber das stimmt nicht! Das kann gar nicht sein!« Schlagartig blieb sie stehen, wirbelte auf dem Absatz herum und deutete mit dem Zeigefinger auf Pescoli. »Raus! Und zwar auf der Stelle! Verlassen Sie sofort mein Haus! Sie sind einfach abscheulich! Sie beide!« Sie weinte jetzt offen, ihr Blick war auf das große Fenster gerichtet, das auf die Auffahrt ging.
»Wir sind noch nicht fertig«, sagte Pescoli und stand auf.
Auch Alvarez erhob sich, schaute auf ihr Handy und ging zur Tür. In diesem Augenblick fiel Scheinwerferlicht durchs Fenster, das Dröhnen eines Motors übertönte das Heulen des Sturms.
Noreens Augen weiteten sich. Die Andeutung eines Lächelns umspielte ihre Lippen. »Gott sei Dank!«, rief sie erleichtert. »Judd ist da!«
Judd? Der älteste Sohn? Warum?
Gerald stand auf und versuchte, seine Frau aufzuhalten, aber Noreen rannte bereits mit klackernden Absätzen über den Marmorboden der Eingangshalle und riss die Haustür auf. Ein großer, breitschultriger Mann mit grimmigem Gesichtsausdruck betrat das Haus. Die Ähnlichkeit mit seinem Vater war nicht zu leugnen, Judd hatte die gleiche Statur und die gleichen Züge wie Gerald. Er umarmte seine Mutter pflichtschuldig und fasste währenddessen die Gruppe, die aus dem Arbeitszimmer getreten war, ins Auge.
»Was geht hier vor?«, fragte er mit tiefer Stimme und kniff misstrauisch die Augen zusammen. Zusammen mit seiner Mutter, die sich immer noch an seinen Arm klammerte, machte er einen Schritt auf seinen Vater und die beiden Detectives zu.
»Die zwei sind von der Polizei«, sagte sie, als wäre er die siebte Kavallerie, die ausgezogen war, um sie zu retten. »Sie sind hergekommen, um uns wegen der verunglückten Frauen zu befragen …«, haspelte Noreen. »Das jüngste Opfer ist … ist Karalee … Rierson. Von der Klinik. Oh … oh … nein …« Sie schüttelte den Kopf, als ihr der Zusammenhang klarwurde. »Ich, ähm, o Gott, ich habe versucht, sie mit deinem Bruder zu verkuppeln …« Sie sah aus, als würde sie gleich zusammenbrechen, doch sie leckte sich die trockenen Lippen, legte eine Hand an ihre Kehle und räusperte sich. »Aber … aber das kann doch nicht sein …«
»Mutter«, warnte Judd. »Schweig.« Und an die Polizei gewandt: »Ich bin Anwalt. Ich möchte nicht, dass Sie ohne rechtlichen Beistand mit meinen Eltern sprechen, und diesen rechtlichen Beistand kann ich nicht stellen. Es wird um eine Straftat gehen, sonst wären Sie nicht hier. Ich werde Herman Carlton, einen Freund von mir, hinzuziehen. Sie haben sicher schon von ihm gehört.«
Herman Carlton stammte aus Spokane, aber er praktizierte auch in Montana. Natürlich hatten sie von ihm gehört. Als Strafverteidiger war er von der ganz üblen Sorte und als Mensch ein ausgewachsenes Ekel. Gegen ihn vor Gericht anzutreten, dachte Alvarez, würde nichts als Probleme bedeuten, große Probleme.
»Augenblick mal«, schaltete sich Gerald ein. »Niemand wirft hier irgendwem etwas vor.«
An Noreen gewandt, fragte Pescoli: »Welchen Sohn wollten Sie denn mit Karalee Rierson verkuppeln?«
»Sag nichts, Mutter!«, beharrte Judd, und Noreen klappte den Mund zu.
»Es war Cameron«, sagte Gerald leise, ohne seine gepeinigte Frau aus den Augen zu lassen.
Plötzlich schienen sich alle Puzzleteilchen zusammenzufügen.
Als Judd etwas einwenden wollte, hob Gerald die Hand, wie um weiteren Lügen Einhalt zu gebieten. Dann wandte er sich an die beiden Beamtinnen: »Ich habe gehört, dass meine Frau am Telefon mit Clarissa darüber gesprochen hat, ein Treffen für die beiden zu arrangieren.« Empört fuhr Noreen zu ihm herum, wie um zu widersprechen, doch er fügte hinzu: »Es ist vorbei, Liebes. Wir können unsere Köpfe nicht länger in den Sand stecken.«
»Du bist ein Mistkerl, Gerald«, kreischte sie. »Ein absoluter Mistkerl! Außerdem wusste Cam gar nicht, dass ich mit Karalee gesprochen hatte! Ich habe ihn nicht angerufen!«
»Natürlich wird er davon gewusst haben – von Clarissa. Sie sind doch so eng miteinander«, widersprach Gerald. »Und wenn Clarissa Bescheid wusste, dann wusste es auch der Rest der Familie, darauf wette ich!« Er sah Judd an.
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