Zwillingsbrut
Erfolg gegeben hatte. Mit ihren Spitzennoten und einem Sportstipendium fürs Junior College hatte sie sich unschlagbar gefühlt.
Jetzt nahm sie ihren Laptop und verließ die Garage durch eine Seitentür, die sie sorgfältig verschloss. Dann nahm sie den kurzen Weg zur hinteren Veranda, wo ein warmes Licht über der Tür brannte. Ihre Stiefel hinterließen Spuren im Schnee und knirschten, als sie die Stufen hinaufstieg. Sie sperrte die Hintertür auf und stampfte mit den Füßen, um sich den Schnee abzutreten, dann schlüpfte sie hinein und schloss von innen ab.
Sie überlegte, ob sie sich wieder einen Hund zulegen sollte, aber dagegen sprach, dass sie sich den ganzen Tag über nicht um ihn kümmern könnte. Manchmal machte sie sich schon vor sechs Uhr morgens auf den Weg zur Arbeit und kehrte nicht vor acht Uhr abends zurück. Obwohl sie ihren Arbeitsplan umstellen und jemanden engagieren könnte, der den Hund ausführte, hatte sie diese Idee bislang stets wieder verworfen. Doch vielleicht bestand ja sogar die Möglichkeit, ihn mit in ihr Büro in der Poliklinik zu nehmen oder in einer Tagespension für Hunde in der Stadt unterzubringen. Sie sollte doch noch einmal darüber nachdenken.
Sie sah sich in der Küche um, die, solange sie denken konnte, Teil ihres Lebens war. Als Kind war sie oft zu Besuch in das kleine Cottage auf der Farm ihrer Großeltern gekommen. Untrennbar mit dem Haus verbunden war eine ganze Reihe von Streunern und Hütehunden, manchmal drei gleichzeitig, an die sie sich von ihren langen Sommer- und Winterferien erinnerte. Die Hunde hatten einfach hierhergehört.
Später, als sie geheiratet und in Schichten genau entgegengesetzt zu denen ihres Mannes gearbeitet hatte, war ein betagter Boston Terrier bei ihnen eingezogen. Jeffrey hatte ihn von seiner Mutter übernommen, als diese in ein Gebäude mit Eigentumswohnungen übersiedelte, in dem Haustiere verboten waren. Der schwarz-weiße Hund namens Blackjack hatte noch zwei Jahre gelebt. Als er starb, ging ihre Ehe bereits in die Brüche, und sie hatten sich nie um einen neuen bemüht.
Auch nicht darum, ihre Ehe zu retten.
Kacey zog Mantel und Schal aus, hängte beides in einen Schrank in der Nähe der Hintertür, dann streifte sie ihre Stiefel ab und war sogleich fünf Zentimeter kleiner.
Nachdem sie eine Tasse mit Wasser gefüllt und in die Mikrowelle gestellt hatte, durchforstete sie ihren Kühlschrank, wo sie zwei Stück Pizza von vorvorgestern fand, dazu eine noch nicht angebrochene Tüte Salat.
»Perfekt«, murmelte sie und ermahnte sich, morgen unbedingt beim Supermarkt anzuhalten. Ihr Vorrat an Toilettenpapier, Spülmittel und Kaffee schwand bedenklich.
Die Mikrowelle klingelte, sie bereitete sich schnell eine Tasse Tee zu und trug sie die Treppe hinauf zu ihrem Schlafzimmer unterm Dach. Zwischen zwei Schlucken streifte sie Hose und Pulli ab und streckte schon die Hand nach ihrem Schlafanzug aus, als ihr Blick auf ihre Sportsachen fiel: schwarze Leggins und ein altes Langarmshirt von den Huskies.
Sollte sie wirklich?
Mit diesen Kopfschmerzen?
Sie mochte es eigentlich nicht, vor dem Fernseher zu trainieren, aber es lief eine Folge der
Real Housewives,
ihrer Realityshow, die sie sehr gerne ansah, wie sie sich schuldbewusst eingestand. Sie hatte festgestellt, dass diese hirnlose Sendung ihr half, sich zu entspannen, und wenn sie dabei Sport machen konnte – umso besser.
»Sei’s drum«, murmelte sie, aber sie zog bereits ihre Leggins an.
Anschließend trank sie ihren Tee aus, ging wieder hinunter, aß eine halbe Banane und stellte den Fernseher im Arbeitszimmer an, ein gemütlicher Raum, der mit einer Glastür von der Diele abgetrennt war. Wenn sie die Augen schloss, meinte sie, immer noch den Pfeifentabak ihres Großvaters und das Duft-Potpourri ihrer Großmutter riechen zu können – eine Mischung aus Zimt, Vanille und Früchten, die dazu dienen sollte, den Tabakgeruch zu überdecken.
Natürlich waren ihr diese Gerüche präsent, genau wie all die anderen Erinnerungen. Nachdem sie vor Beginn ihrer Lieblingsserie kurz einen News-Sender geschaut und dann durch die Kanäle gezappt hatte, weil ihr die Nachrichten zu deprimierend waren, begann sie mit ihrem Training, dessen Ablauf ihr schon in Fleisch und Blut übergegangen war. Sie nahm ihre Hanteln aus dem Schubladenschrank unter dem breiten Flachbildfernseher und machte ihr Workout, während die »wahren Hausfrauen« in ihrem Alltag alle möglichen Dramen, stets auf
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