Zwillingsbrut
ein Geräusch vernahm: ein deutliches Kratzen, ganz in der Nähe. Erschrocken wirbelte sie herum und suchte panisch mit den Augen das dunkle Esszimmer ab. Ihr Herz raste.
Knaaaarz!
Das Geräusch kam vom Fenster. Sie hätte beinahe aufgeschrien, als sie eine riesige Skeletthand an der Scheibe entlangscharren sah.
Großer Gott! Sie musste sich verteidigen! Die alte Schrotflinte ihres Großvaters fiel ihr ein. Benommen vor Entsetzen taumelte sie zurück, dann wurde ihr klar, was die schwarze Hand in Wirklichkeit war: der kahle Zweig eines der großen Sträucher, die an der Ostseite des Hauses wuchsen.
Völlig aufgelöst und gleichzeitig erleichtert, ging sie in die Küche, wo sie sich schwer auf einen Stuhl fallen ließ. All ihre so tiefsitzenden Ängste und lebhaften Phantasien kamen wieder hoch. Sie war Ärztin, hoch professionell, geübt, im Notfall einen kühlen Kopf zu bewahren, trotzdem genügte ein einziger alberner Zweig, sie zur Schrotflinte ihres Großvaters greifen zu lassen. »Reiß dich zusammen«, befahl sie sich ungehalten. »Das ist doch lächerlich.«
Als sie sich wieder gefasst hatte, wärmte sie sich die zwei Stücke Pizza in der Mikrowelle auf, gab den Salat in eine Schüssel, goss sich ein Glas Rotwein ein aus der Flasche, die sie vor drei Tagen geöffnet hatte, und trug alles in ihr Arbeitszimmer, wo sie den Fernseher wieder anstellte und sich einredete, das sei genau das Leben, das sie sich nach ihrer Scheidung von Jeffrey gewünscht hatte.
Im Fernsehen lief nichts Interessantes, und ihr Blick schweifte ab zum Fenster.
Niemand lauerte draußen in der Dunkelheit. Sie war in Sicherheit, in ihrem Zuhause. Und zumindest versuchte sie, sich davon zu überzeugen, als sie aufstand, um die Jalousien zu schließen.
Doch tief im Innern wusste sie, dass sie davongelaufen war. Nicht nur vor einem Ehemann, einem Gott in Weiß, der sie betrog, sondern auch vor dem, was in der Vergangenheit passiert war, vor der einen Nacht, die sie aus ihrem Gedächtnis zu löschen versuchte.
Das Problem war nur, dass sie nicht davonlaufen konnte.
Wo immer sie hinging, die Erinnerung an jene Nacht verfolgte sie, nagte an ihr; der Schmerz, das Entsetzen ließen ihr keine Ruhe.
Er stand oben auf dem Hügel und hatte sein starkes Fernglas auf das Farmhaus gerichtet, doch selbst bei höchstmöglicher Vergrößerung war wegen des dichten Schneevorhangs nur wenig zu erkennen. Ja, er konnte sie im Arbeitszimmer und in der Küche ausmachen, auch aus dem Badezimmer drang für kurze Zeit Licht, doch ihre Gestalt erkannte er nur unscharf, ihr Gesicht komplett verschwommen, und als sie die Jalousien herunterließ, konnte er gar nichts mehr sehen.
Er konnte sie hören, natürlich, da er überall in ihrem Haus winzige Mikrophone versteckt hatte, an Stellen, die sie niemals entdecken würde. Doch es war ihm nicht gelungen, eine ferngesteuerte Kamera zu installieren, was ihn ärgerte, denn er hätte sie gerne heimlich beobachtet, aus der Ferne, um mehr über sie und ihre tägliche Routine zu erfahren, um herauszufinden, wie sie wirklich tickte.
Seine Faszination grenzte an Besessenheit, das wusste er, als er bibbernd vor Kälte in dem Dickicht aus Espen und Fichten stand, die auf der Anhöhe am Feldrand nahe bei ihrem Haus wuchsen. Er konnte es nicht ändern.
Sie
war die eine, die ganz Besondere; von allen »Unwissenden« war sie am gefährlichsten. Intelligent und schön, Acacia Collins Lambert, eine Ärztin.
Er steckte das Fernglas zurück in die Hülle, dann ging er auf demselben Weg zurück durch den Wald zu seinem Wagen. Er hatte ihn in einer Nebenstraße abgestellt, nachdem er ihr von der Poliklinik, in der sie arbeitete, nach Hause gefolgt war. Er musste geduldig sein, schärfte er sich ein, während er einen Pfad in den frisch gefallenen Schnee trampelte.
Es würde nicht mehr lange dauern.
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Kapitel 7
D u hast Hausarrest.« Pescoli funkelte ihre Tochter an, die soeben zur Vordertür hereingeschlichen kam.
»Warum?«, fragte Bianca auf dem Weg in ihr Zimmer, während Cisco, der auf einem Kissen auf dem Sofa geschlafen hatte, auf den Fußboden sprang und anfing, wie verrückt mit dem Schwanz zu wedeln.
»Machst du Witze?«, schimpfte Regan. »Du hast die Schule geschwänzt.«
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich mich nicht wohl fühle«, erwiderte Bianca und blieb stehen.
»Ach.«
»Wie auch immer.« Regans Tochter streifte sich mit den Zähnen die Handschuhe ab und bückte sich, um dem Hund den Kopf zu
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