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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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den Posten, einen jungen Kerl, er hielt das Gewehr im Anschlag, erkannte den Leutnant und trat überrascht zurück. Hayden forderte ihn auf, die Waffe zu senken. Die Streife ließ sich durch den Befehlston nicht einschüchtern, sagte, Baracke 27 sei laut Geländeplan unbenutzt. Er nahm Haltung an und wollte wissen, wer sich außer Hayden noch in der Hütte befand.
    Â»Name?« fragte der Leutnant schärfer.
    Unbeeindruckt nannte der Soldat Dienstgrad, Name und Einheit.
    Â»Einen Augenblick.« Hayden trat zurück und schloß die Tür.
    Â»Wieso weiß der Kerl nicht Bescheid?« Der Flüsterer wurde nervös.
    Â»Ostern – vielleicht wurde ein Dienst getauscht«, antwortete der Leutnant.
    Â»Schon gut«, beruhigte der Brillenträger und ging mit Hayden nach draußen.
    Hinter der Tür sank Inga in die Hocke. Die Eltern fielen ihr ein, der Verweis des Nachschuboffiziers, Henning und die Jungs, die ganze läppische Lüge. Wie dumm und rücksichtslos war sie gewesen!
Sie ernährte ihre Familie, als Civilian Employee genoß sie Vergünstigungen, um die sie beneidet wurde; mit einem Schlag konnte das Privileg, für die Engländer zu arbeiten, beendet sein. Durch den Ritz sah sie die Stiefel des Wachpostens, der Leutnant redete auf ihn ein, nach kurzem unterbrach der Brillenträger. Einige Sekunden war es still, Inga spähte hinaus, der Soldat nahm Haltung an und stammelte eine Erklärung. Sie sank auf die Knie. Ein Geruch kam ihr in die Nase – die Tischdecke des toten Onkels. Daneben die Beine der Frau im grauen Kostüm, sie stand an den Tisch gelehnt und sprach gedämpft mit dem Flüsterer. Die Tür schwang auf und schloß sich wieder, die Männer kamen zurück. Inga wurde geblendet, der Leutnant hatte Licht gemacht. Abwartend lauschten die Vier auf die Schritte der Wache, die sich entfernten. Inga stand auf und rieb ihre Knie.
    Â»Selbst wenn der Posten dichthält –« Der Brillenträger goß Gin ein. »Die Sache hier draußen ist erledigt.«
    Â»Ich kann nicht sagen, daß ich darüber enttäuscht bin.« Die Frau nahm ihre Tasche. »Ich möchte nach Hause.«
    Â»Wir haben gerade erst begonnen«, entgegnete der Leutnant und sah die anderen mit einer Wärme an, die Inga an ihm nie bemerkt hatte. Die Dame beharrte darauf, in die Stadt gebracht zu werden. Der Brillenträger holte Spielsteine aus der Hose. Als auch die übrigen ihre Jetons auf den Tisch warfen, öffnete der Leutnant das Futteral; langsam, als wolle er sich des Wertes jeder einzelnen Note versichern, händigte er das Bargeld aus. Die Stimmung war ernüchtert, nur die Bastlampe warf ihr spielerisches Licht über alles. Erleichtert, so glimpflich davongekommen zu sein, die Eltern nicht wieder belügen zu müssen, ging Inga voraus. »Wie komme ich aus dem Lager?« fragte sie in die Runde.
    Der Flüsterer bot an, sie auch diesmal in seinem Wagen mitzunehmen.

7
    A uch wenn im Viertel viele Katholiken wohnten, nahm Ingas Familie das Karfreitagsfasten nicht wichtig. Der Vater hatte für den gläsernen Mandarin Speck bekommen, auch Zwiebeln und Koriandergewürz. Er vermengte Kartoffelbrei mit Semmelwürfeln, formte Klöße und ließ sie in Salzwasser kochen. Die Tunke aus Speck und Zwiebeln roch so herzhaft, daß Mutter und Tochter sich lange vor der Zeit zu Tisch setzten. Unter dem Balkon wurde gehupt – Henning hatte sich ein besonderes Horn eingebaut, grell und durchdringend. Mit einer verpackten Flasche kam er die Treppe hochgelaufen. »Gratuliere!« rief er.
    Inga wollte den Grund dafür wissen.
    Â»Papa soll endlich die Rente bekommen«, schmunzelte die Mutter.
    Henning riß das Geschenkpapier auf. »Wein konnte ich keinen auftreiben, Holunderlikör ist das einzige, was der Schwarzmarkt vor den Feiertagen hergibt.« Er präsentierte das handgeschriebene Etikett. Mit beschlagener Brille trat Erik aus der Küche, die Klöße brauchten noch zwei Minuten. Er wischte die Hände an der Schürze ab. Henning holte die kleinen Gläser.
    Â»Auf den frischgebackenen Frührentner!«
    Sie stießen an. Es war dem Vater nicht recht. Er hatte sein Leben als Bahnhofsvorsteher geliebt, alle behandelten ihn, als gehörten ihm die Züge persönlich. Die Familie hatte umsonst fahren dürfen, damals waren sie mit Horst kreuz und quer unterwegs gewesen. Die

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