Zwischen den Gezeiten
Aufmachung nach leitende Angestellte mit Gattin, Handwerksmeister, Professoren â keine Spur von den Kriegsverlierern, die ums Ãberleben kämpften, das Miserable schien aus der Stadt hinausgespült worden zu sein. Es war das eindrucksvollste Defilée, das Inga je erlebt hatte. Selbst das näher rückende schlechte Wetter verleidete keinem die Stimmung, inmitten der Gruppe von Erwartungsvollen, die wuchs, je näher sie der Adresse kamen, marschierte Inga zum Kosigk-Palais.
Man hatte beide schmiedeeisernen Flügel geöffnet; obwohl es noch nicht dunkel war, brannten Fackeln als Spalier. Die Gruppe, mit der Inga eintraf, gehörte schon zu den Nachzüglern, der Park war voll von Menschen, an die tausend, schätzte sie und lächelte über die vereinzelten britischen Uniformen, die zwischen den Einheimischen umherstanden. Hier und heute sah man die Besatzer in ihrer wahren Stärke vertreten â wir sind die Stadt, dachte Inga, die anderen befanden sich in der Fremde.
Sie brauchte nach der Generalin nicht Ausschau zu halten, die stand auf der Treppe zum Laubengang, schüttelte Hände, vollzog zwanglos die BegrüÃung. Hinter ihr ein alter Bekannter, der dicke Major in Galauniform oder das, was die Engländer dafür hielten. Marion Kosigk trug WeiÃ; das gebleichte Haar, der Schmuck und die jungfräuliche Farbe ergaben keine Harmonie. Inga nahm die Windjacke von den Schultern, zog ihr Kleid um den Busen zurecht, lieà die Schleppe fallen und stolzierte los. Auf dem Weg
zur Treppe betrachtete sie ihre Bemalung  â das Rot war auffällig; spreizte sie die Finger, wurden es blutige Krallen eines Raubtieres. Sie hatte keine Lust, sich ins Spalier derer zu reihen, die auf Marions BegrüÃung warteten, schob ihre Tasche unter die Achsel, umging die Schlange und trat auf die Generalin zu. Ein Paar samt Schwiegermutter sprach mit ihr, die Kosigk bemerkte Inga nicht gleich. Während sie unbeachtet blieb, entdeckte sie ihre Eltern, die zur Treppe herübersahen, Erik im Nadelstreif mit leuchtend blauer Krawatte, die Mutter trug das halblange Schwarze, das ihr Bein so geschickt bedeckte; die Stola gab ihr etwas Feenhaftes. Inga wollte für ihre Eltern im besten Licht dastehen, sehen sollten sie, mit wem ihre Tochter verkehrte; sie drängte sich zwischen die Generalin und ihre Gäste.
»Guten Abend.«
Die Kosigk drehte den Kopf, ein kaum merklicher Händedruck.
»Ach â Inga.« Kurzer Blick auf das Rot der Nägel, schon unterhielt sie sich weiter.
Inga spürte die Augen der Eltern, den Blick aller, die zur Treppe hochsahen; sie tat, als sei sie in das Gespräch einbezogen. Der Anschein lieà sich nicht lange aufrechterhalten, sie wich in den Laubengang aus; ohne es zu wollen, versteckte sie die Hände auf dem Rücken. Das Paar samt Schwiegermutter war weitergegangen, eine einzelne Dame trat an die Generalin heran, sie trug ein braunes Kostüm, steif, als sei es aus Filz, ihr Gesicht wirkte wie nach einer langen Krankheit, dünnes Haar, einfach gescheitelt. Auch wenn Inga diese Frau nur einmal gesehen hatte, vom Fenster ihres Zimmers aus, wuÃte sie, es war die Besucherin ihrer Eltern. Sie mochte nicht älter sein als Marion Kosigk, wirkte aber ausgebrannt und müde. Die Begegnung verlief respektvoll, doch ohne Freundlichkeit. Die Kosigk sprach, die andere erwiderte, ging weiter, gesellte sich aber nicht zu den Gästen im Park, sondern benützte den Laubengang, um zur Garage zu gelangen. Beim Ãffnen der Tür sah Inga darin eine Gruppe von Frauen â der Chor. Abendwind auf ihren nackten Schultern, sie zog die Jacke an, schulterte die Tasche
und lief zu den Eltern; die taten, als bemerkten sie die Tochter erst jetzt.
»Das hätten wir uns denken können«, lächelte Erik. »So einen Abend läÃt du dir nicht entgehen.«
»Habt ihr die Frau gesehen?« Sie zeigte zur Garage.
»Weià Henning, daà du hier bist?« Marianne drehte sich suchend um.
»Die gerade mit der Generalin sprach â ihr kennt sie, nicht wahr?«
»Wen meinst du?« Der Vater steckte die Hände ein.
»Was wollte sie bei uns?« Herausfordernd sah Inga die beiden an.
Marianne folgte ihrem Fingerzeig. »Ach Frau Seidler.« Damit hakte sie Erik unter, über den Kiesweg gingen sie los.
»Aus welchem Grund hat sie euch besucht?«
»Sie hatte
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