Zwischen den Gezeiten
Eltern wie Tauben, sie trennten sich nur, wenn Erik auszog, einen von Mariannes Wünschen zu erfüllen.
»Er hat sich hingelegt«, sagte die Mutter, ohne Ingas Frage abzuwarten.
Gerade schlug es sieben, um diese Zeit stand der Vater sonst in der Küche.
»Habt ihr gegessen?«
»Ja.« Marianne fuhr sich durchs Haar. »Nein. Erik ist die Schwitze angebrannt.«
»Die Schwitze?«
»Er wollte Kohlrabi eindicken.« Sie senkte die Stimme, als dürfe der einzigartige Zwischenfall die vier Wände nicht verlassen.
»Die weiÃe Sauce?«
»Mit Petersilie«, nickte die Mutter.
»Papa ist noch nie etwas angebrannt!«
Seit Inga auf der Welt war, sah sie ihren Vater kochen, es war das Bild, das sich über die Jahre hinzog â Erik mit Schürze, die Hemdärmel ordentlich umgekrempelt, die Brille beschlagen von Dampf. Die langen Arme griffen in die Runde, ohne einen Schritt zu machen, erreichte er alles auf Borden und in Schränken. Er trennte Dotter vom Eiklar, bestäubte das Brett mit Mehl, schnitt Gemüse, hackte Kräuter in einem Tempo, daà Inga als Kleine zu schreien anfing, so schnell bewegten sich seine Hände mit dem Wiegemesser. Wurde ihr das Warten zu lang, schob er dem Kind einen Karottenschnitz in den Mund. Ingas Vater war ein scheuer Mensch; lediglich in der Küche wurde er zum Herrscher.
»Die Schwitze angebrannt?« wiederholte Inga, als sei es das Unglaublichste von der Welt.
»Frag mich nicht.« Marianne tastete an die Kleidertasche, die Zigaretten waren ihr ausgegangen. »Er stirbt vor Angst.«
Die Kastanienblätter, sonst immer bewegt, standen in der Luft, unwirklich blau der Himmel dahinter, dabei hätte es Abend sein müssen.
»Die Eisenbahn haben sie ihm schon genommen.« Marianne legte den Finger als Lesezeichen zwischen die Seiten. »Die dumme Mütze aufzusetzen, war das Schönste für ihn. Manchmal stand er Minuten vor dem Spiegel, bis der Schirm den richtigen Winkel zur Augenbraue hatte. Glänzende Knöpfe hatten für ihn -« Sie trank, stellte das Glas ab. »Blanke, glänzende Knöpfe.«
Inga fragte nicht um Erlaubnis, ging zum Vater hinüber; er lag angezogen auf der Tagesdecke, die FüÃe ragten über den Bettrand, die blauen Augen, ungewohnt ohne Brille, zur Decke gerichtet.
»Du bist früh«, sagte er. Sie spürte, er wollte nicht reden.
Die Dämmerung zog über den Himmel, in der Stille hörten sie das Wasser aus dem undichten Brunnenrohr in den Trog plätschern.
»Was heiÃt das eigentlich â Goldfasan?«
»Hast du je einen gesehen?« Er verschränkte die Arme hinterm Kopf. »Sie stammen aus China, hellbraun, der Schwanz und die Flügel haben ein dunkel leuchtendes Rot â nur bei den Männchen.«
»Papa, du weiÃt schon -« unterbrach sie.
»Goldfasane leiteten Wirtschaftsbetriebe und beaufsichtigten die Landwirtschaft.« Er wollte zur Brille greifen, vermochte sich aber nicht so weit zu verrenken.
»Aber du â ?«
»Ich war der Bahnhofsvorsteher«, antwortete er ernst. »Sie sagten, ich solle die Goldschnüre tragen, die Epauletten, sogar das goldene Abzeichen. Ich war stolz darauf. Es gab höhere Parteimitglieder, die freiwillig hinter mir marschierten.« Er setzte sich auf. »Ich konnte das â mit dem Schritt«, setzte er leise hinzu.
»Es wird schon gutgehen.« Sie dachte daran, daà er die Schwitze hatte anbrennen lassen. »Vielleicht wird Frau Seidler â«
Er nahm die Brille, plötzlich waren die eisblauen Augen wieder da. »Es geht um mehr als Frau Seidler.«
Sein Haar, so weiÃblond, daà man die grauen Stellen kaum sah, Nase und Kinn, als seien sie durch Wille geprägt, breite Schultern, sehnige Arme. Inga ging auf ihr Zimmer. Der zwanzigste Juni war um drei Tage näher gerückt.
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A uf Ingas Wunsch hatte der Koch einen Deckel über die Schale gestülpt, heià sollte Alec sein Essen bekommen, warme Speise half dem Körper bei der Genesung. Ãber den Sandweg, entlang der Hagebutten, kehrte sie zum Leutnant zurück, als lägen dort ihre wahren Pflichten. Inga leerte die Bettpfanne, zog das Laken straff; inzwischen hatte sie es übernommen, seinen Verband zu wechseln.
Der Arzt und die Schwester besprachen, warum sich der Gesamtzustand des Leutnants nicht besserte. Bis auf zwei Rippen und den
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