Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
Vom Netzwerk:
der Decke.
    Â»Schmerz wächst wie ein Ballon, der nicht platzen kann.« Die langen Finger des Leutnants wurden sichtbar, er sprach mit ihnen, als führe er Puppenfiguren. »Angst wird Freude, Pein Erleichterung, Qual führt in ein neues Leben.«
    Lautlos stellte sie die Füße zu Boden, fixierte das dunkle Viereck der Tür; er hatte die gleiche Distanz dorthin, sie würde schneller sein. Der Leutnant stieß sich von der Wand ab, das Knarren der Ledersohlen, als er den ersten Schritt machte. Inga sprang auf, zwei Schritte, sie zerrte am Türverschluß.
    Â»Ohne Schmerz ist es, als ob ich durch Lautlosigkeit laufe.« Er machte nicht den geringsten Versuch sie festzuhalten. »Als wäre ich nicht mehr unter den Lebenden.« Er sprach jetzt mit einer Stimme, die höher klang, als verberge sie ersticktes Weinen. Ein Luftzug um ihre Schultern, der Stoff des Unterhemdes fühlte sich frostig an. Mit gekrümmtem Rücken erreichte auch er die Tür, sah
sie spürbar an; beide standen wie auf einer Gesellschaft, wo einer dem andern den Vortritt läßt. Inga wußte nicht mehr, was sie draußen sollte, machte kehrt und überließ es ihm, die Tür zu schließen. Mit sorgfältig gesetzten Schritten war er bei ihr, wartete, bis sie die Beine anzog, und setzte sich.
    Â»Schmerz ist ein Elixier«, sagte er, »ein Führer, der mich reisen läßt.« Seine Arme lagen parallel auf den Schenkeln. Inga umfaßte seine Schultern, er bewegte sich kaum. Da sie ihn nicht zu sich ziehen konnte, kroch sie kniend heran, preßte ihr Gesicht gegen seinen Hinterkopf. Die weiße Hand fuhr ihr ins Haar, zog sie herum, bis Inga unter ihm lag, ihr verdrehter Kopf in seinem Schoß. Mit der anderen Hand berührte er Ingas Schenkel; die Männerhand, die ihr stets kraftlos erschienen war, hielt sie mühelos fest. Langsam, wie selbstvergessen, gingen seine Finger auf Wanderschaft, drangen in sie ein, verharrten in der Wärme. Sie warf den Kopf herum, Haar riß, kein Schrei in der Stille. Sie wollte ihn ansehen, umfassen, er bestand auf ihrer hilflosen Lage, geöffnet, seinem Griff ausgeliefert. Allmählich gaben die Schenkel nach, die Hitze war nicht länger fortzuschieben. Ihr Körper wand sich, Wildheit und Geduld nahm sie von ihm entgegen, er hinderte sie nicht zu schreien, sorglos, ob andere in der Baracke es hörten, überließ er sie ihrer Lust. Kristallklar drang die Nacht durchs Fenster, gleichmäßige Schritte des Wachpostens irgendwo draußen. Kopfüber sah sie das helle Waschbecken. Die Liste des schweren Gerätes mußte vollendet werden, braune Zettel wanderten von rechts nach links, der lustlose Kommandant, seine Freude im Geldschrank, die Reise mit der geheimen Frau, England, Inga zog die Beine an und umklammerte zitternd die Hand in sich. Wie die Luft aus ihr strömte, so streckte sie sich langsam aus. Als fiele ihm nicht ein, was noch zu tun sei, umarmte Alec sie in seinem Schoß.
    Â»Ich gehörte zur Offiziersgruppe, die Marion Kosigk die persönlichen Gegenstände ihres Mannes überbrachte«, sagte er zwischen den Zähnen. »Die Hinrichtung fand um vier Uhr nachts statt, im Morgengrauen standen wir vor der Witwe. Sie führte uns in den
Salon und ließ Tee servieren. An ihrer Seite war ein Mann mit glattem, schwarzem Haar.«
    Ingas Arme schlängelten sich hoch, sie streichelte die weiche Binde um seinen Schädel.
    Â»Wir dachten, die Deutschen hätten nichts«, fuhr der Leutnant fort. »Sie wären vollkommen auf unsere Hilfe angewiesen. Aber Gabor konnte alles besorgen, er schob im großen Stil – Industrieanlagen waren vor der Demontage abgebaut und versteckt worden –, Gabor verkaufte Stück für Stück.« Der Leutnant hustete, wollte sich die Strapazen des Sprechens nicht anmerken lassen. »Ich habe den Major informiert. Kurz bevor wir die Schlinge um Gabors Hals zuzogen, machte der Schieber dem Dicken ein Angebot.« Der letzte Satz klang lachend grimmig. »Der Major hat im Privatleben wenig erreicht. Also beschloß er, die guten Jahre zu nützen, ewig kann die Besatzung ja nicht dauern. Er deckt Gabors Transporte und begünstigt dessen Kontakte im Westen.«
    Â»Und du?« flüsterte Inga.
    Â»Fünf Prozent für den Mitwisser.« Ohne Gewalt streifte er ihre Arme ab.
    Â»Du hast mitgemacht?«
    Er stemmte die Hände auf die

Weitere Kostenlose Bücher