Zwischen den Gezeiten
Schmerzen öffnete er die Lippen, vorsichtig flöÃte sie ihm Reisbrei ein, er schluckte mühsam, drehte den Kopf bald zur Seite. Inga brachte ihm Tee in der Schnabeltasse, er trank wenige Schlucke.
»Als ich damals die Madonna zum Pferdedoktor gebracht habe«, sagte sie und stellte den Tee beiseite, »wurden auf seinem Hof Möbel verladen.«
Alec atmete hörbar, das Essen hatte ihn angestrengt.
»Ich habe dort Gabor gesehen â und einen anderer Mann.« Sie beobachtete den Liegenden. »Du kennst ihn, er trägt einen leichten Mantel.«
Keine Regung deutete darauf hin, daà die Neuigkeit eine Ãberraschung für ihn war. Der schwarze Gabor  â das Wort ging Inga durch den Kopf, Gabor, der den Ruf hatte, zu besorgen, was keiner sonst kriegte, der Adjutant des toten Generals, hüben wie drüben schätzten sie seine Dienste. Wer waren SIE ? Inga schaute hinaus, die Sonne muÃte über den Föhren stehen, auf Station H war es schattig und kühl. Wie ging das zusammen, daà Gabor mit Alec am Spieltisch saà und gleichzeitig den Mann beschäftigte, der die Schulden des Leutnants eintrieb? Wenn Gabor Alecs Gläubiger war, wieso forderte er das Geld nicht direkt von ihm, statt den Schläger zu schicken? Bei keiner Gelegenheit hatte sie eine Abhängigkeit zwischen den Männern bemerkt, bloà Rivalität am Spieltisch, jenes fröhliche Dreiergespann mit der Generalin. Inga sah das Zimmer vor sich, die Sessel und Teppiche grün, das rote Kleid der Kosigk, scharf abgegrenztes Licht über den Spielern.
Sie stand auf, machte ein paar Schritte, kehrte ans Bett zurück. Ein Zipfel der Mullbinde war aus dem Verband gerutscht, der Kiefer hing lose. Sie betrachtete sein Kinn, etwas vom Fleisch fehlte, die Haut war über dem Knochen zusammengenäht worden â ein bizarrer Anblick â, und doch, wie lieb war ihr dieses Gesicht geworden. Inga wollte ihn einen Augenblick lang berühren; sie schob nur den Mull in die Binde und ging.
Nirgends empfand man das sinnlose Absitzen von Zeit stärker
als im Casino. Es hatte sich eingebürgert, daà Dienstgrade, die nachmittags nicht im Camp sein muÃten, in der Stadt aÃen. Dennoch lieà der beflissene Unteroffizier täglich alle Tische eindekken. Aus Gewohnheit rückten die Essenden nicht zusammen, jeder blieb an seinem angestammten Platz, dazwischen lagen Inseln aus weiÃen Tüchern. Gedankenverloren wartete der Koch hinterm Tresen auf Kundschaft, die Schöpfkelle wie einen Golfschläger überm Arm. Gegen ihre Gewohnheit aà Inga das Stew, wischte die Sauce mit Brot vom Teller, hörte das Hallen der Schritte im leeren Saal. Sie verzichtete auf das überzuckerte Kompott, nahm einen Apfel und kehrte an die Arbeit zurück.
Als sie ins Büro trat, war das SchlieÃen der Stahltür zu hören, zweimaliges Absperren, der Sergeant händigte dem Commander den Schlüssel aus. Auf Ingas Tisch lagen die offenen Listen, zerknüllte Kuverts, ausgetretene Kippen auf dem Boden verstreut; der Zahltag war vorüber. Erwartungsgemäà schloà der Kommandant die Tür, um seine Hose zu wechseln. Er besaà drei Uniformhosen, eine für den Alltag â während er sie reinigen lieÃ, trug er die Hose der Ausgehuniform, dazu Halbschuhe statt der Stiefeletten. Die dritte Hose zog er an, wenn er den Spaniel bürsten wollte. Jasper stimmte jedesmal ein Geheul an, als ginge es ihm ans Leben. Diese Hose war weit und voller Flecken, weil der Commander darin auch am Auto hantierte. Sie hatte Löcher in den Taschen, daher legte er deren Inhalt in die Schublade, sperrte ab und verwahrte den Schlüssel auf dem Lichtbord. Bevor der Kommandant und sein Hund ausgingen, wurde der Wachdienst verständigt: einmal hatte ein aufmerksamer Soldat, der beim Munitionsdepot jemand zwischen den Föhren sah, einen Warnschuà abgegeben. Jasper bekam einen Mordsschreck, der Kommandant belobigte den Soldaten für sein Verhalten.
Inga hörte den Hund nebenan fiepen, Schuhe fielen zu Boden, das Klirren der Gürtelschnalle, schon stand der Commander umgezogen in der Tür, in seiner Hand baumelte die Leine.
»Sagen Sie dem Wachdienst Bescheid.«
Jasper sprang hinaus, Inga griff zum Telefon, durchs Fenster sah sie die beiden Richtung Wald verschwinden.
Ihr Buch, ein Glas Limonade, Marianne saà allein im StraÃenzimmer. Für Inga waren ihre
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