Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
Vom Netzwerk:
Widerstreit in sich selbst zu bekämpfen. Auf der Rückseite des Stenoblocks notierte Inga die Summe, die für die Madonna noch ausstand, sie setzte den Wert des Henning gestohlenen Geldes darunter und den Betrag, den die Eltern Frau Seidler schuldeten. Darauf schüttete sie den Inhalt der Tasche aufs Bett, sortierte die
Pfundnoten aus, zählte die deutschen Scheine, ordnete die benötigten Beträge zu und erschrak, wie wenig übrigblieb.
    Ihre Idee, das restliche Geld nach H zu tragen, auf die Decke des Leutnants zu werfen – Spiel damit, bezahl vom Gewinn deine Schulden, gib es mir wieder, ich lege es in den Schrank zurück  –, wurde angesichts der Summe kläglich. Ingas Gewissensbisse der Nacht, ihr Schuldgefühl gegenüber dem Leutnant, der erwachende Plan, die Skrupel im Morgengrauen, Flucht zu den schlafenden Eltern, schließlich die Tat, verloren durch diese Bilanz jede Romantik und Durchführbarkeit. Sie beschwichtigte ihre Angst damit, das Geld jederzeit zurückbringen zu können; zuvor aber mußte sie es anders probieren. Inga kalkulierte, – bezahlte sie den Pferdedoktor, floß die Summe anschließend an die Eltern zurück; Henning würde eine Anzahlung des Betrages als Geste des guten Willens nehmen – Inga teilte die Stapel erneut und stockte das Bündel des Leutnants auf. Schließlich schlug sie das englische Geld dazu und fand, das Ergebnis ließ sich sehen. Sie träumte davon, ihren Schatz sofort durch den Wald zu tragen, direkt an Alecs Bett – von seiner Verblüffung und Freude schwärmend, ließ sie sich auf die Matratze fallen, wo sie gemeinsam gelegen waren, spürte das Geld im Rükken und fächerte es auf der Brust. Schritte draußen zeigten ihr, daß die Mittagspause vorbei war. Sie verstaute die Beute im Spind und lief an die Arbeit. Klarer Himmel zwischen den Föhren, auf die Dämmerung würde sie heute lange warten müssen.

26
    E r schreckte hoch, hatte mit offenen Augen geschlafen; dunkle Locken neben seinem Kopf, Inga zog das Laken zurecht und stellte eine Tasche aufs Bett. Der Leutnant gähnte mit vorsichtig geöffnetem Mund.
    Â»Hast du von Schottland geträumt?« Ohne seine Zustimmung abzuwarten, setzte sie sich an den Bettrand.
    Â»Ich träume nicht.«
    Â»Freust du dich auf daheim – den Zug besteigen, ein Schiff übers Meer, und die Küste auftauchen sehen?«
    Â»Offiziere werden ausgeflogen«, antwortete er und wußte, sie wollte etwas anderes hören.
    Â»Habt ihr in Schottland auch so einen Sommerbeginn?« Stolz zeigte sie nach draußen, die Hitze ließ in H die Dachsparren knakken.
    Â»Wir haben manchmal alle Jahreszeiten an einem Tag.« Er strich über seine Wange, ein Verband war entfernt worden, der Bart wuchs unregelmäßig und kratzte.
    Â»Wirst du daheim wieder Plätzchen backen?«
    Ãœberrascht ließ er zu, daß sie seine Hand ergriff. »Fruitcake.« Er betrachtete das Lichtspiel an der grauen Wand. »Im Moment halte ich vieles für möglich.«
    Â»Und deine Schulden?«
    Diesmal schwieg er, dachte, wie sinnlos es war, sie eingeweiht zu haben. Im klaren Nachmittagslicht empfand er seinen nächtlichen Besuch als Erstickungsanfall, an dem er sie teilhaben hatte
lassen, dumme Nachtphantasien – der Schmerz als Führer -, er bereute das lebensmüde Gewäsch, das eine wie Inga nicht abschreckte, sondern dahinter ein Abenteuer vermuten ließ.
    Â»Wann wirst du entlassen?«
    Er betrachtete ihre Fingernägel, das Rot bekam Sprünge.
    Â»Vielleicht sollte ich dich in Schottland besuchen.« Sie stand auf, setzte sich auf eins der gemachten Betten. »Manchmal gehen Mädchen mit nach drüben«, sagte sie und bestätigte seine Befürchtung. »Vielleicht sehen wir uns aber nie wieder.«
    Â»Meistens geht es so«, antwortete er, ohne sie anzusehen.
    Â»Ich weiß auch noch nicht, was ich mache.« Sie lehnte sich auf die Ellbogen.
    Â»Du?« Seine Überraschung war echt. »Sie werden die Verwaltung den deutschen Behörden übergeben. Man übernimmt dich bestimmt.«
    Â»Stenoblock und Schreibmaschine«, lächelte sie.
    Â»Manchmal ist die Gegenwart unwirklicher als die Zukunft.« Er betrachtete die hingeräkelte Frau auf dem gestärkten Laken.
    Â»Ich habe etwas für dich.« Sie beugte sich vor, geschickt wie ein Zauberer zog sie

Weitere Kostenlose Bücher