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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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das Kopftuch von ihrer Tasche, darunter braune und blaue Scheine.
    Â»Was ist das?«
    Â»Für dich.«
    Er faßte hinein, ertastete, daß die Tasche bis zum Grund gefüllt war mit Geld.
    Â»Spiel damit«, sagte Inga mit beherrschter Freude. »Bezahl vom Gewinn deine Schulden.«
    Â»Woher?« Unwillkürlich wandte er den Kopf zum Schwesternzimmer.
    Â»Egal.«
    Er nahm Zigaretten aus dem Nachttisch und zündete sich eine an. »Erst dachte ich, du bist verrückt.« Er zupfte Tabak von der Lippe. »Dann hielt ich es für Tollkühnheit. Aber das –« Er hob die pralle Tasche. »Bedeutet Kriegsgericht und Gefängnis.«

    Â»Wenn ich es innerhalb von drei Wochen zurücklege, ist es, als wäre nie etwas geschehen.«
    Â»Früher hätte das fürs Standgericht gereicht!« Er packte ihre Unterarme, Asche fiel auf das Kleid. »Sie sperren dich ein! Die Sache verfolgt dich dein Leben lang!«
    Â»Ich habe es für dich getan.« Seine Augen waren so nahe, daß sie das Zusammenziehen der Pupillen erkannte. »Nicht aus Liebe«, setzte sie ruhig hinzu. »Ich bin schuld, daß sie dich so zugerichtet haben.«
    Er ließ sie los, sie genoß sein Erstaunen.
    Â»Im Süden, wo der Mühlfluß die Stadt verläßt und durchs Wehr strömt, wo die Wassermassen strahlenförmig den eisernen Fangzaun durchbrechen, dort haben sie mich von der Schleuse gehängt  – bis das Seil riß.« Er zog an der Zigarette. »Daran willst du schuld sein?«
    Im Schwesternzimmer ging das Licht an.
    Â»Ich habe den russischen Nerz befreit«, antwortete Inga und breitete das Kopftuch über das Geld. Sein Kiefer sank, bis er schmerzvoll an den Draht in seinem Mund erinnert wurde. Zum ersten Mal erlebte sie, daß es dem Leutnant die Sprache verschlug.
    Â»Sie sind wahnsinnig schnell.« Inga zuckte die Achseln. »Er ist mir entwischt.«
    Während sie seine ungläubigen Fragen beantwortete, von den löcherigen Hosen des Kommandanten, dem Schlüssel auf dem Waschbord erzählte, überlegte Inga, was der Nerz wohl mit seiner Freiheit anfing. Machte er Jagd auf Frösche und kleine Vögel, ernährte er sich von Insekten, vermißte er seine Weibchen? Drüben hörte sie die Tür des Wäscheschrankes gehen, gleich würde die Schwester kommen.
    Â»Nimm es.« Inga drängte ihm die Tasche auf.
    Â»Bist du verrückt?« Er schob sie zurück.
    Â»Behalte es!«
    Als wären sie Darsteller in einer Klamotte, schoben sie das Geld hin und her. Sein strenger Blick beeindruckte Inga nicht, sie ruckten
und kämpften, bis die Schwester eintrat und den Leutnant fragte, ob er etwas gegen die Schmerzen wolle.
    Â»Schmerzen?« Mit gefalteten Händen lag er da. »Wer hat Schmerzen?«
    Inga stand auf.
    Â»Vergiß deine Tasche nicht«, lächelte er. »Du hast es gut, kannst den herrlichen Abend genießen.«
    Sie spürte den abwartenden Blick der Schwester, nahm das verborgene Geld und ging, während die andere das Bett frisch bezog.
    Â 
    Nach staubiger Fahrt kam Inga zu Hause an, ließ das Gatter offen, rannte zum Geräteschuppen und warf sich auf das Bündel Stroh, das der Vater in die Ecke gekehrt hatte. Durch die Tür sah man den Hügel mit lila blühendem Rittersporn – sie beneidete das Lamm, weil es sich unter der Erde ausruhen durfte. In hohem Bogen warf Inga die Tasche in den Garten, bei den Tomaten landete sie wie ein unförmiger Fußball.
    Standgericht und Gefängnis, ging ihr durch den Kopf – Standgericht, fort von allem, das Geld reichte, um sich in eine andere Zone abzusetzen. Nicht der Leutnant verließ sie, nordwestwärts unter britischer Flagge, Inga war es, die weiterzog. Sie lehnte sich an die Wand. Wie lange das her war, nächtliches Spiel in einer Baracke, wie unbeschwert es begonnen hatte, ohne Geld – jetzt hatte sie Geld, doch die Leichtigkeit war dahin. Wie sie da saß, auf dem Stroh im Geräteschuppen, erschien ihr das Unberechenbare mit einem Mal als das Vernünftige – Spielen  – , was kümmerten sie die Geschäfte, Schieber und Machenschaften; sie wollte etwas riskieren  – wenn nicht für Alec, dann für sich selbst –, spielen, gewinnen, von keinem sich etwas sagen lassen. Inga stand auf, zupfte Stroh aus dem Kleid und trat ins Freie. Mit Blick zu den Elternfenstern hob

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