Zwischen den Zeilen
bin dann, mit einem lauten Ben!? Ich komme! für all meine Freunde gut hörbar über den Hof gerannt. Natürlich war er schon weg und hatte nicht nur, wie ich geistesgegenwärtig behauptet hab, schon mal den Wagen geholt. Echt schlecht, eigentlich. Darf man gar nicht weiter drüber nachdenken… Aber die Blöße, dass er mich auf einer Party vor meinen Freunden nach einer Liebeserklärung, die alle mitbekommen haben, mit einer fadenscheinigen Ausrede sitzen lässt, wollte ich mir lieber ersparen.
Beim nächsten Treffen erzähle ich einfach, dass er arbeiten muss und dann werde ich irgendwann behaupten, ich hätte Schluss gemacht. Weil er zu eifersüchtig war, keinen hochgekriegt hat oder keine Ahnung, was mir sonst so einfällt. Scheißegal, wird mir sowieso keiner glauben.
»Und du weißt echt nicht, wieso er abgehauen ist?«, streut Milla Salz in die Wunden meines blutenden Herzens. So langsam sollte ich unser nächtliches Trinkgelage wohl beenden. Ich vertrage überhaupt keinen Wein. Schon gar nicht in depressiver Stimmung. Ich werde gefühlsduselig und wenn's ganz dumm läuft, fange ich an zu heulen. Und das mache ich lieber alleine. In meinem Bett.
Und vorher werd ich's, da Mr. Bremen mir so was von gestohlen bleiben kann, mit der HSV-Bettwäsche beziehen!
»Nein«, wimmere ich und ziehe ein möglichst mitleiderregendes Gesicht. Aber das fällt mir angesichts meines Gemütszustands in Verbindung mit Alkohol nicht weiter schwer.
Ben ist so ein Arsch. Ich sag ihm, dass ich ihn liebe, und er haut einfach ab. Dabei lief es echt gut zwischen uns. Und wenn ich gedacht hätte, dass er nichts für mich empfindet, dann hätte ich mit Sicherheit meinen Mund gehalten. Aber dummerweise hab ich das nicht. Und jetzt sitze ich hier und ertränke meinen Kummer in schlechtem Rotwein aus verschiedenen europäischen Anbaugebieten mit Schraubverschluss.
»Ach komm schon, Kopf hoch, Joschi, dein Mann fürs Leben rennt schon irgendwo rum«, versucht Milla, mich zu trösten. Aber angesichts meiner Gefühle für Ben, ist das schwer zu glauben.
»Ja, rennt er«, brumme ich daher missmutig. »Und zwar von zehn bis achtzehn Uhr irgendwo in einem Scheiß-Blumenladen in Pöseldorf... Aber er soll bloß nicht denken, dass ich ihm diese Nummer verzeihe. Nie im Leben… Und wenn er anruft, dann sag ich ihm, dass er…« Tatsächlich vibriert mein Handy und bewegt sich dabei über den Tisch.
»Ben?«, frage ich vielleicht ein bisschen zu schnell und zu euphorisch, um vor Milla auch nur annähernd glaubhaft zu bleiben. Aber irgendwie ist mir das auch schon egal. Und es ist auch nicht Ben, jedenfalls nicht persönlich, es ist nur eine SMS. Nicht mal die Eier anzurufen hat er.
ES TUF MIR LEJD BEN , lese ich auf dem Display. Feststelltaste lässt grüßen. Ganz offensichtlich bin nicht nur ich ein bisschen betrunken. Oder er hat die SMS einfach nur hingerotzt. Kann ich mir vermutlich selbst aussuchen, was das jetzt heißen soll.
»Er?«, will Milla, die mittlerweile unsere Gläser in die Spüle gestellt hat, wissen. Vielleicht sollte ich den Aschenbecher ausleeren, bevor ich mich zu einem Leck mich einfach! an seine Nummer hinreißen lasse.
»Hm«, bestätige ich möglichst emotionsarm, auch wenn ich meine Glaubwürdigkeit diesbezüglich wohl längst mit meinem albern-hoffnungsvollen Ben? demontiert hab.
»Und?« Auffordernd sieht Milla mich an.
»Es tut ihm leid«, übersetze ich sein Kauderwelsch vom Display. »Aber das ist mir egal.«
Seufzend stehe ich vom Stuhl auf und halte mich einen Moment lang mit den Händen an der Tischkante fest. Der Küchenboden schwankt leicht. Erst nach rechts, dann nach links. Wie auf einer dieser Zirkuswippen für arme, gequälte Elefanten. Ich schließe die Augen, in der Hoffnung, dass es dadurch besser wird, aber das erweist sich als keine besonders gute Idee.
»Ich sollte ins Bett«, stelle ich ins erneute Vibrieren meines Handys hinein fest. »Ihn vergessen.«
Und mich dem HSV, meiner echten großen Liebe widmen. Trotzdem greife ich natürlich nach dem Handy. Es übermittelt eine Bildnachricht. Ein etwas dunkles Bild voller roter Rosen. Anscheinend hat er es unten im Laden aufgenommen. Und es macht ein seltsam beklommenes Gefühl in meiner Brust.
»Scheiß Zehn«, flüstere ich und drücke den Knopf, der die Schwärze auf den Bildschirm zurückholt. Meine Augen brennen verräterisch. Liebeskummer ist ein echtes Arschloch. Aber er soll bloß nicht denken, dass ich es ihm so leicht mache.
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