Zwischen den Zeilen
montags freudestrahlend mitzuteilen. Dieses Wochenende haben sie auf Schalke gespielt und ich hab, mehr aus Protest als aus dem Glauben heraus, dass sie tatsächlich gegen die Königsblauen verlieren könnten, eine Schachtel Kippen gegen sie gesetzt.
»Keine Ahnung«, sagt er und klingt dabei nicht so, als würde er sich sonderlich für das Ergebnis interessieren. »Beim Fußball bin ich noch nicht.«
»Das war übrigens ernst gemeint mit meinen Eltern«, fasse ich mir schließlich ein Herz, als er mich davon in Kenntnis gesetzt hat, dass Dortmund anscheinend wirklich verloren hat. Auf den Rest der Tabelle hab ich dann, zugunsten einer weiteren Tasse Kaffee, verzichtet.
»Dass ich ihnen lieber nicht sagen soll, dass du ziemlich gut darin bist, ihn…« Er grinst versaut.
»Nein, dass du mitkommen kannst«, entgegne ich und klinge dabei ungewollt ein bisschen genervt, weil ich finde, dass dieses Thema irgendwie zu ernst ist, um es zu zerreden.
»Oh.« Er scheint ehrlich verwundert.
»Na ja, falls du nichts anderes vorhast«, wiederhole ich und ziehe dabei ein Bein auf die Sitzfläche des Stuhles. Vorsichtig nippe ich an meiner Kaffeetasse.
»Muttertag haben wir den Laden offen«, weicht er aus.
»Verstehe.« Jetzt klinge ich wirklich enttäuscht.
»So meinte ich das nicht«, sagt er und lächelt ein bisschen gequält. »Es ist nur… Ich weiß nicht. Es sind... deine Eltern…«
»Sie sind ganz okay«, sage ich dämlich.
»Und sie haben kein Problem damit, dass ich… also, dass du…«
»Dass ich dich mitbringe? Nein, du bist eingeladen. War der Vorschlag meiner Mutter.« Okay, das ist nicht ganz richtig. Aber sie hat auch nicht gesagt, dass ich ihn nicht mitbringen soll.
»Ich meinte eher, damit, dass du…«
»Dass ich schwul bin? Sagen wir mal, sie können es sowieso nicht ändern. Ich glaube, sie haben sich so gut wie möglich damit arrangiert. Mein Vater führt jetzt keine Freudentänze auf deswegen, aber hey, so ist das eben. Ehrlich gesagt kenne ich keinen Vater, der es besonders geil findet, dass sein Sohn schwul ist. Und wenn ich mir so die Geschichten von Freunden anhöre, dann hab ich echt noch Glück gehabt. Es war keine wirklich große Sache. Jedenfalls haben wir irgendwie versucht, keine draus zu machen… Wobei, eigentlich ist das gelogen… es war eine ziemliche Katastrophe.« Ich mache ein schuldbewusstes Gesicht und schicke einen Augenaufschlag hinterher, dem er hoffentlich nicht widerstehen kann.
»Wenigstens das ist mir erspart geblieben«, sagt er und versucht, es wie einen Witz klingen zu lassen.
»Was meinst du?«, hake ich nach.
»Na ja, diese Outing-Sache vor meinen Eltern«, sagt er.
»Sie wissen es nicht?« Damit hätte ich jetzt, ehrlich gesagt, nicht wirklich gerechnet. Ich bin immer davon ausgegangen, dass er kein großes Geheimnis draus macht. Allerdings leben seine Eltern ja, wenn er aus Bremen kommt, vermutlich nicht in Hamburg. Vielleicht hat er es ihnen also wirklich nie gesagt.
»Ich hatte keine Gelegenheit, es ihnen zu sagen«, erklärt er und schaut dabei irgendwie komisch. So, als sei das ein Thema, über das er eigentlich nicht gerne spricht. Überhaupt spricht er wenig über seine Familie, wenn man mal drüber nachdenkt.
»Solltest du vielleicht nachholen«, schlage ich vor. »Schlimmer als bei mir kann's kaum werden. Allerdings ist Muttertag nach meiner Erfahrung nicht unbedingt der ideale Zeitpunkt.« Es war wirklich Muttertag. Ich war sechzehn. Aber ich dachte, Vatertag wäre eine noch beschissenere Idee.
»Wird schwierig. Sie leben beide nicht mehr.«
Autsch! Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt!
»Das tut mir leid«, murmle ich betreten, löse eine Hand von meiner Kaffeetasse und lege sie auf seine.
»Ist schon in Ordnung… lange her.« Tapfer überspielt er die Wehmut mit einem Lächeln. Aber es gelingt ihm nicht sonderlich gut. Und es erklärt, obwohl ich nicht allzu viel auf Psychologie gebe, so einiges.
»Wie alt warst du damals?«, frage ich vorsichtig.
»Bei meinem Vater fünf, bei meiner Mutter acht«, antwortet er leise und starrt dabei auf die Tischplatte.
»War es… ein Unfall?«
»So in etwa«, weicht er meiner Frage aus und ich verzichte tunlichst darauf nachzuhaken. Ein Fettnapf innerhalb von zwei Minuten reicht.
»Und dann?« Shit! Ich stehe schon wieder ziemlich nah am Rand.
»Hab ich bei meiner Oma gelebt«, antwortet er unverfänglich. »Und später bin ich dann zu meinem Bruder und Kerstin, meiner Schwägerin, nach
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