Zwischen den Zeilen
Läuft kribbelnd über meine Wirbelsäule und weiter in die Tiefe...
»Oh, ganz okay«, weiche ich ihm aus, rücke ein bisschen unter ihm hin und her und seufze genüsslich.
»Hattet ihr einen netten Abend?«, lässt er sich nicht aus dem Konzept bringen.
»Wer?«, frage ich dämlich.
»Na, dein Freund und du?«
»Ja, war schon in Ordnung.« Ich nicke zur Bestätigung. Stimmt ja, ich hatte ihm erzählt, ich würde jemanden treffen.
»Was ist er für einer?«
»Wer?«
»Dein Freund«, hakt er nach.
»Oh, ein echt alter Freund«, antworte ich ausweichend. »Wir haben uns ewig nicht gesehen.«
»Ein Schulfreund?«
Wieder nicke ich.
»Aus Bremen?«
»Jap«, sage ich und überlege fieberhaft, wie ich dieses Gespräch beenden kann. Ich komme mir schlecht vor, wenn ich ihn anlüge. Es gibt keine Schulfreunde. In der Schule wollte nach der ersten Klasse niemand mehr mit mir befreundet sein. Und mit den Leuten auf der Sonderschule wollte ich es nicht.
Ich war im Kurs am Donnerstag. Und ich werd wieder hingehen nächste Woche. Ich war nicht sicher, ob ich reingehen soll. Also hat Daniel mich nach Ladenschluss hingebracht. Bis zur Tür. So weit bin ich noch nie gekommen. Und dann bin ich weitergegangen. Alleine.
Wir sind zu siebt. Menschen wie ich, denen man es auf den ersten Blick nicht ansieht. Auch mir nicht. Weil sie, genau wie ich, zu sehr darauf bedacht sind, dass niemand es bemerkt. Menschen, die Freunde haben, eine Familie, einen Job. Manche jedenfalls. Und meine Angst, dass dort jemand sein könnte, der mich erkennt, hat sich zum Glück nicht bestätigt. Ich hatte Schiss, dass ich vielleicht auf Kunden treffen könnte, Leute aus dem Fitnessstudio, flüchtige Bekannte oder irgendwen, mit dem ich mal in der Kiste gewesen bin. Nichts davon war der Fall. Dennoch war es ein komisches Gefühl für mich, in einem Raum zu sein und zu wissen , dass jeder dort es weiß.
Zu Beginn hab ich mich kurz vorgestellt. Wie ich heiße, was ich tue und wieso ich hier bin. Hab gesagt, dass mein Ziel ist, irgendwann vielleicht auf die Berufsschule zu gehen. Dass ich endlich schreiben kann. Und vor allen Dingen lesen.
Verkehrsschilder, Speisekarten, Buchtitel, die SMS, die er mir schreibt, die Karten von diesem Spiel. So, dass ich keine Angst mehr hab vor all den kleinen Situationen des Alltags, in denen die Panik, aufzufliegen mich überkommt.
Kurz hab ich darüber nachgedacht, auch von ihm zu erzählen. Davon, dass wohl eher Josh der Grund ist und nicht die Berufsschule. Aber dann hab ich's gelassen. Ich wollte nicht erzählen müssen, dass er nichts davon weiß.
Danach hat Manu sich vorgestellt. Sie hat den Kurs auch erst Donnerstag angefangen. Sie ist nett und ungefähr in meinem Alter. Ich war ganz froh, neben ihr zu sitzen und nicht neben irgendwem, der vielleicht schon eine Weile dabei ist und alles kann. Ist ihr, glaube ich, genauso gegangen. Als Hausaufgabe sollen wir jemandem aus dem Kurs eine E-Mail schreiben. Manu hat gefragt, ob sie mir schreiben kann. Ich werd also ihr schreiben. Sicherheitshalber haben wir auch die Handynummern getauscht.
***
»Jetzt komm schon... Entspann dich.« Er löst seine Hand vom Lenkrad und legt sie auf meinen Oberschenkel. Wir sind auf dem Weg in Richtung Blankenese, nachdem wir heute Morgen noch mal zu ihm mussten, weil er natürlich das Buch für seine Mutter vergessen hatte. Ich hab den Beetle dort stehenlassen und mich darauf eingelassen, dass er fährt. Mit einem alten Golf. Keine Ahnung, ob wir lebend dort ankommen. Dass man die Fragen auf einem Theoriebogen lesen kann, lässt offensichtlich nicht zwingend Rückschlüsse auf den späteren Fahrstil zu.
»Entspannung ist im Angesicht des Todes vielleicht ein bisschen viel verlangt«, werfe ich also ein.
»Hey, das sind nur meine Eltern«, erinnert er mich.
»Ich meinte auch eher deinen Fahrstil«, entgegne ich. Und ich bin nicht sicher, ob ich mir wünschen soll, die Fahrt zu überleben.
»Ich fahre super!«, widerspricht er selbstsicher und schaltet, untermalt von einem abenteuerlichen Geräusch, in den nächsthöheren Gang.
»Für eine Frau vielleicht«, kann ich mir nicht verkneifen.
»Wenn schon, für ein Mädchen , bitte«, stellt er richtig und grinst rüber zu mir. »Und wenn du nicht eingepennt wärst, wärst du jetzt lockerer, weil du Sex gehabt hättest und...«
»Du hättest mich wecken können«, erinnere ich ihn. Ich bin wirklich eingeschlafen gestern, während er mich massiert hat. Heute Morgen war
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