Zwischen den Zeilen
mehr wie fünfundzwanzig aus. Aber vielleicht braucht er einfach noch ein bisschen Zeit.
Ich gehe zu ihm an den Tresen und knuffe ihn. »Dein Arsch ist nicht faltig.«
»Du lügst schlecht.« Er lacht.
»Ich lüge ziemlich gut«, widerspreche ich und kann nicht verhindern, dass es bitter klingt.
»Ach Ben… Wenn du so etwas sagst, bist du wirklich ein Idiot.« Mit einem Seufzen legt er die Hand auf meine Schulter. Ich spüre seine Finger durch den Stoff meines T-Shirts. Für einen Moment schließe ich die Augen und atme tief ein. Rieche den Duft der Blumen, der in der Luft hängt, und höre das leise Plätschern des Wassers, das an der schwarzen Granitwand hinten im Laden hinabläuft.
»Lass mal«, sage ich dann und schiebe seine Hand ein wenig zu harsch von meiner Schulter. »Ich komm schon klar.«
»Ben… Er… Wenn du in ihn verliebt bist, dann solltest du es ihm vielleicht sagen.«
»Klar«, entgegne ich zynisch. »Er ist Journalist. Sein Vater ist Arzt. Und seine Mutter schreibt Kinderbücher.«
»Und er war mit dir aus, ihr hattet Sex und ihr wollt euch wiedersehen.«
»Wer sagt, dass wir Sex hatten?«
»Der Fleck an deinem Hals.«
»Was?« Beinahe reflexartig presse ich die Hand an die Seite meines Halses. Einen Fleck hab ich weder heute Früh bei ihm noch vorhin bei mir im Spiegel gesehen.
»Reingefallen«, feixt Daniel.
»Arschloch«, brumme ich.
»Bist du in ihn verliebt?«
»Ein bisschen«, gebe ich zu. Leugnen wäre auch zwecklos. Dazu kennt Daniel mich wohl deutlich zu gut »Aber ich denke, dass es keinen Sinn macht.«
»Vielleicht solltest du es einfach ausprobieren und den Picknickkorb suchen«, schlägt er vor.
»Klar. Er wird total drauf abfahren. Danke, eine Katastrophe dieser Art reicht mir«, schnaube ich.
»Es bringt doch nichts, wenn du, nur weil das mit Felix schiefgelaufen ist, nie wieder irgendwas mit einem Mann zulässt, das tiefer geht als ein bisschen Sex. Du verpasst das Leben. Es ist kurz…« Für eine Sekunde sieht er auf die beiden Ringe an seinem Finger.
»Danke für deine Psychoanalyse, Herr Freud«, erwidere ich und es kommt wie Hohn über meine Lippen. Ich kenne Freud nicht. Den Spruch hab ich einfach nur aufgeschnappt. Wie so vieles, hinter dem ich mich verstecke beim verzweifelten Versuch, einfach nur wie alle anderen zu sein. Aber das bin ich nicht.
Mein Handy reißt mich aus den Gedanken. Es vibriert auf dem Kassentresen hin und her und kündigt eine SMS an. Ich greife danach und starre aufs Display. Sie ist von Josh. Ich erkenne seine Nummer.
»Und?«
Ein wenig hilflos stehe ich da, mit dem Handy in der Hand. Und am liebsten würde ich Fuck you sagen. Aber es ist nicht Daniels Schuld, es ist meine.
»Ist sie von ihm?« Daniel tritt hinter mich.
»Hm.« Ich nicke und halte ihm ergeben das Handy hin.
»Was schreibt er?«, frage ich tonlos, schlucke und versuche anzukommen gegen dieses Gefühl, das in mir aufsteigt.
»Dass er sich auf morgen freut«, sagt er sanft. »Und dass er ein bisschen verknallt in dich ist.«
»Wirklich?« Ein kleines Lächeln huscht von irgendwoher über mein Gesicht. Obwohl mir zum Heulen zumute ist. Ich hasse es. In solchen Situationen hasse ich es.
»Soll ich antworten?«, bietet Daniel an.
»Nein, ich… ruf ihn später zurück.«
Ich lasse ihn einfach stehen und gehe in den Binderaum. Ziehe die Tür hinter mir zu und sinke, das Handy immer noch in der Hand, hinter der Tür zu Boden. Marlene kommt zu mir, legt den Kopf auf mein Knie und zieht ihre nicht vorhandenen Augenbrauen hoch. Dann stupst sie meine Hand an und als ich nicht reagiere, leckt sie mit ihrer warmen, feuchten Zunge über mein Gesicht. Wischt damit die Tränen weg, gegen die ich mich nicht wehren kann, die über meine Wangen laufen und eine heiße Spur dort hinterlassen. Verfickte Scheiße! Verfickte, blöde Scheiße!
Die Buchstaben in der kleinen Blase auf dem Display verschwimmen vor meinen Augen. Aber was soll's, ich kann sowieso nichts mit ihnen anfangen. Ich erkenne nur Zahlen. Und einzelne Buchstaben. Aber sie werden nicht, wie sie sollten, zu Worten in meinem Kopf. Nicht zu dem, was er mir schreibt. Ich hab's irgendwie nie so richtig gelernt in der Schule.
Schule war sowieso die Hölle für mich. Ich war sechs damals. Und derjenige, mit dem niemand spielt. Andi hatte seine Ausbildung angefangen. Er kam erst abends nach Hause und war selbst erst sechzech. Viel mehr, als mir Brote zu machen und zuzusehen, dass ich meine Zähne putze, konnte er
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